Alternativ reisen: Auf den Spuren der Hippies

Einfache Strandhütten unter Palmen statt Hotelburgen mit All-inclusive. Alternatives Reisen steht für ein Reisen jenseits des Massentourismus.

Heute ist der Begriff in aller Munde und wird für die unterschiedlichsten Reiseformen verwendet. Oft meint man damit lediglich, dass es sich nicht um zweiwöchige Clubferien handelt, sondern um eine alternative Art der Feriengestaltung jenseits des Pauschaltourismus. Festivals gelten dabei genauso als alternatives Reisen wie Gruppenreisen zu Themen wie Wein, Krimis oder Street Art.

Doch wie hat sich der Alternativtourismus eigentlich entwickelt? Die ursprünglichen Pfeiler sind drei Charakteristika: individuell, nachhaltig, authentisch. Wir begeben uns auf Spurensuche und folgen den Alternativreisenden par excellence: den Hippies. Sie waren mit ihren VW-Bussen oder per Anhalter unterwegs, um sich selbst zu finden, die Welt zu entdecken und um dem konformen Leben zu Hause zu entfliehen. Statt im Wirtschaftswunder suchten sie ihre Erfüllung in den Bergen des Himalaja.

In den 60er- und 70er-Jahren reisten sie auf dem Hippie-Trail gen Osten und verfolgten nicht nur eine alternative Reiseform, sondern auch eine alternative Form des Lebens. Wir gehen zurück zu den Anfängen der Individualreise, entdecken die Plätze der Hippies und schauen, was heute davon übrig geblieben ist.


Hippie-Trail nach Osten war ein Teil einer alternativen Form des Lebens. (Bild: Everett Collection – shutterstock.com)

Alternativ reisen: Die Geschichte des Hippie-Trails

Unter dem Begriff Hippie-Trail versteht man die Reiseroute über Land von Europa nach Südostasien. In den 1960ern und 1970ern machten sich viele Hippies, vor allem aus Deutschland, auf die Reise. Sie flohen vor dem Spiessertum der Wirtschaftswundergeneration. Diese Reise war dabei mehr als Ferien, wie sie die Elterngeneration machte. Statt zehn Tagen Italienferien machte sich die 68er-Generation auf die Suche nach sich selbst und alternativen Lebensräumen.

Sie starteten ihre Reise von Europa aus über die Türkei und Afghanistan in Richtung Indien und Nepal. Dort wollten sie das ursprüngliche Leben erfahren, sich mit anderen Kulturen austauschen und ihre Freiheit geniessen. Wenn die Reisekultur der Hippies der Beginn des Alternativtourismus in Form des Rucksacktourismus war, dann war der Hippie-Trail die Wiege des alternativen Reisens und des Backpackings.


Hippie Trail (Bild: NordNordWest, Wikimedia, CC)

Der Hippie-Trail übte von Beginn an eine grosse Faszination aus, und es dauerte nicht lange, bis aus den alternativen Reiseplänen einiger Abenteurer eine echte Massenbewegung wurde. Zahlen sprechen von zwischen 40’000 und 70’000 Backpackern jährlich, die der Route folgten. Spätestens als die Beatles in einem indischen Ashram nach Spiritualität und Erleuchtung suchten, gab es kein Halten mehr: Die Massen strömten gen Osten. Damals gab es noch keine touristische Infrastruktur, und auch wenn viele den Weg bestritten, waren die Reisen anstrengend und mitunter gefährlich. Sprachbarrieren, die Hygiene- und schlechte Strassenverhältnisse machten das Reisen zu einem echten Abenteuer.

Das Reisen an sich geschah entweder mit einem eigenen Gefährt wie dem beliebten VW-Bus oder günstigen lokalen Verkehrsmitteln. Auch das Trampen als Fortbewegungsmittel war beliebt. Die Wahl günstiger oder kostenloser Verkehrsmittel war oft schlichtweg notwendig, da die Reisenden kaum über Geld verfügten. Ausserdem galt ein grosses Reisebudget als kapitalistisch und war deshalb auch gar nicht gewünscht.


Das Trampen als Fortbewegungsmittel war bei Hippies sehr beliebt. (Bild: Riccardo Piccinini – shutterstock.com)

Durch die politischen Veränderungen in den 1970er-Jahren und den afghanischen Militärputsch 1978 wurde der Trail unpassierbar. Die Sowjetunion fiel in Afghanistan ein und die Seidenstrasse konnte nicht mehr bereist werden. Erst in den 1990er-Jahren mit dem Ende des Ersten Golfkrieges wurde die Strecke wieder passierbar. Zur alten Popularität fand sie aber nie zurück.



Die Route: von Istanbul bis Kathmandu

Eine der ersten Stationen gen Osten war Istanbul. Am Bosporus am Tor nach Asien war die Luft der weiten Welt spürbar. Eigentlich war Istanbul kein Ort, an dem die Reisenden lange verweilten, die Stadt diente eher als erster Rastpunkt und vor allem Treffpunkt. Besonders bekannt wurde das „Lale Restaurant“. Hier trafen sich viele der Reisenden und benannten das Lokal kurzerhand nach einer süssen puddingähnlichen türkischen Nachspeise, deren Name sich keiner merken konnte. Der sogenannte „Pudding Shop“ entwickelte sich zur Anlaufstelle für alle Backpacker. Hier wurden Erfahrungen ausgetauscht, Kontakte geknüpft und sich für die weitere Reise gestärkt. Ausserdem konnte man hier Mitfahrgelegenheiten auf dem Hippie-Trail organisieren. Hierfür gab es eine Art Schwarzes Brett mit Gesuchen und Angeboten.

Das Restaurant besteht noch heute. Es wird in vielen Reiseführern aufgeführt, doch vom Hippieflair ist nicht viel übrig. Der kleine Garten wurde entfernt, und auch sonst verirren sich hierher eher Touristen auf der Suche nach eine kleinen Stärkung als Alternativreisende auf dem Weg nach Indien. Ein paar Fotos an den Wänden erinnern an die Zeiten, als Blumenkinder auf den Stühlen sassen, doch viel mehr ist von den alten Zeiten nicht übrig.


„Lale Restaurant“ in Istanbul (Bild: Sandstein, Wikimedia, CC)

Afghanistan: das Zentrum der Hippie-Trailer

Direkt vor dem Pudding Shop fuhren die Busse in Richtung Iran ab. Bei der Einreise herrschten strenge Bedingungen, und so manche Reise endete aufgrund unerlaubter Substanzen schon, bevor sie richtig begonnen hatte.

Von Teheran ging es weiter nach Afghanistan. Bis zum Militärputsch 1978 galt das Land als sehr sicher und friedlich. Die Monarchie war abgeschafft, und verglichen mit dem Iran waren hier die Gesetze weniger streng, auch was die Drogen betraf. Die atemberaubende Landschaft und die Natur sorgten dafür, dass das Land ein sehr beliebtes Reiseziel auf dem Weg nach Indien wurde. Afghanistan reagierte schnell auf die westlichen Reisenden, indem Infrastruktur wie Hotels, Restaurants und Läden nach dem Geschmack der Reisenden geschaffen wurden. Die Unterkünfte waren einfach, aber günstig und entsprachen den Vorstellungen der Hippies von einem einfachen Leben.


Bis zum Militärputsch 1978 galt Afghanistan als sehr sicher und friedlich. (Bild: Zastolskiy Victor – sutterstock.com)

Die Legende, dass es in Afghanistan das beste Haschisch gebe, trug weiter zur Popularität bei den alternativen Touristen bei. Auch die Hauptstadt Kabul war ein beliebter Treffpunkt und Ort für längere Pausen. Das Motto hiess „Camping in Kabul“. Bis zu 70’000 Hippies bevölkerten zuweilen pro Saison die Stadt.

In Kabul selbst war der beliebteste Treffpunkt die sogenannte Chicken Street. Sie war das Zentrum der Hippiebewegung des Trails und versprühte eine Mischung aus weltoffener Metropole und exotischer Geschichte. Diese Kombination aus Komfort und Exotik kam bei den Reisenden gut an. Auch das Green Hotel war beliebt bei den Hippies, denn dort sollen die wildesten Partys der Stadt gefeiert worden sein.

Mit dem Militärputsch endete das Hippiezeitalter in Afghanistan abrupt. Bis heute hat sich der Tourismus nicht wieder erholt. Zwar entwickelt er sich langsam, aber vom Hippieflair der 70er-Jahre ist nicht viel übrig. Auch wenn die Reisenden des Hippie-Trails von den Einheimischen oft skeptisch beäugt wurden, trauern manche heute den goldenen Zeiten des Tourismus hinterher.


Markt in Kabul 1979 (Bild: Lutralutra, Wikimedia, GNU)

Indien: Ankunft im Paradies

Indien, das gelobte Land der Hippies und für viele Endstation des Hippie-Trails. Nach dem Durchqueren Pakistans fanden viele im Süd-Westen des Landes, in Goa, ihr persönliches Paradies. Mit Drogen und Musik feierten sie sich selbst am Sandstrand. Manche von ihnen zog es weiter in den Norden, wo sie in Rhishikesh auf den Spuren der Beatles wandelten und in Ashrams nach Erleuchtung suchten.

Einige der Hippie-Trail-Reisenden blieben Wochen, andere Monate und wieder andere für immer. In Indien sieht man sie noch, die Spuren der Hippies. Bis heute ist der indische Staat eine Hochburg für Alternative aus aller Welt. In Goa wird der Goa-Style mit Neonfarben, Elektromusik und wilden Partys zelebriert. Peacezeichen, Live-Musik und ein weltoffenes Flair sind Überbleibsel aus Hippietagen, die noch überall zu sehen und spüren sind.



In Anjuna findet sich noch ein echtes Original, der wöchentlich stattfindende Hippiemarkt. Und auch sonst vermarktet sich Goa als Hippiehochburg. Knapp bekleidete junge Frauen tanzen verträumt zu psychedelischen Klängen, der Duft von Haschisch weht mit der Meeresbrise vorbei. Freizügiger und lockerer ist es in Goa allemal als im Rest des Landes. Dreadlocks und Piercings, typische Accessoires der Hippies, haben hier ihren Ursprung.


In Anjuna findet sich der wöchentlich stattfindende Hippiemarkt. (Bild: Dirk Ott – shutterstock.com)

Heute reihen sich Yogastudios und Meditationsräume aneinander, Cafés mit jungen Backpackern sind überall. Abends wird die Sonne mit Trommelklängen verabschiedet und die Nacht mit Feuershows und Laserspielen begrüsst. In Goa boomt die partyfreudige Alternativszene noch immer. Der Alternativtourismus hat sich seit den 70ern zum Massenphänomen entwickelt und geht mit dem Pauschaltourismus einher. Kleine Strandhütten teilen sich den Strand mit Familienhotels. Die echten Alt-Hippies haben sich jedoch zurückgezogen. Sie geniessen ihr freies Leben in ihren Strandhütten abseits der Touristen-Hotspots.

Vom Norden Indiens, den Klöstern und Ashrams fanden die Trail-Reisenden auch ihren Weg nach Nepal. Hier verschlug es vor allem die hin, die auf der Suche nach Spiritualität waren statt nach Partys am Strand. Auch in Nepal ebneten die Alternativtouristen den Weg zum Massentourismus. Noch heute gibt es die „Freak Street“, die an die mitunter befremdlichen Gäste erinnert. Die jüngsten katastrophalen Erdbeben zerstörten einen Grossteil Kathmandus und somit auch der Tourismusinfrastruktur.


In den 60ern und 70ern war Kathmandu das ultimative Reiseziel für Hippies. (Bild: Jean-Marie Hullot, Wikimedia, CC)

Alternativen zum Hippie-Trail

Die Alternativreisenden suchten ihre Freiheit nicht nur entlang des Hippie-Trails, auch jenseits davon gab es richtige Hippiehochburgen. Allen voran San Francisco als Ausgangspunkt der Flower-Power-Bewegung, Australien, Marokko, Kopenhagen oder die Kanaren, hier besonders Ibiza, etablierten sich als beliebte Destinationen.

In San Francisco nahm die Hippiebewegung ihren Anfang. Bis heute ist Frisco eine weltoffene Stadt und Sehnsuchtsort für Aussteiger. Vor allem im Stadtteil Haight Ashbury kann man die Spuren sehen: bunte Holzhäuser, verrückte Läden und ebensolche Bewohner.

In Christiania, der dänischen Hippie-Enklave, kann man ebenfalls bis heute einen guten Einblick in das Lebensgefühl der Alternativen bekommen. 1971 liessen sich Hausbesetzer auf einem Militärgelände nieder. Bis heute leben hier Künstler, Arbeitslose und Alt-Hippies. Noch immer ist die Drogenpolitik liberal und das Interesse von Schaulustigen gross. So verkommt das Gelände immer mehr zur reinen Touristenattraktion und Partymeile.



Wie hat die Alternativreise der Hippies den heutigen Tourismus geprägt?

An vielen der von Hippies geprägten Orte kann man auf den Spuren der ersten Alternativreisenden wandeln. An manchen Orten mehr, an manchen weniger, und an manchen wie in Afghanistan sind die Hippies nur noch Geschichte. Bei vielen heute touristisch erschlossenen Orten dient die Hippiezeit als Marketinginstrument der Städte und Regionen, das auch heute noch für Touristenandrang sorgt. Hippiemärkte und Cafés werden inszeniert, um an die Zeiten zu erinnern. Wirklich authentisch ist dies in den seltensten Fällen. Der bisweilen naive Alternativtourismus ebnete den Weg zum – von den Hippies verhassten – Pauschaltourismus.

Die Grundmotivation der Hippies, in anderen Kulturen eine neue Art des Lebens zu finden und durch Kulturaustausch und Kommunikation von anderen Völkern zu lernen, blieb oft nur ein gut gemeinter Vorsatz. Meist blieben die Reisenden unter sich, griffen auf für sie eingeführtes Essen und Unterkünfte zurück. Als Beispiel kann hier gut Afghanistan angeführt werden. Mit der Kultur und dem Islam beschäftigten sich die wenigsten Hippies. Sie waren zufrieden mit dem Kontakt zu gleichgesinnten Reisenden. Zwar brachten sie vielen Ländern auf der Route wirtschaftlichen Wohlstand durch den Tourismus, aber auch der Drogenhandel wuchs durch die Reisenden.


Die Alternativreisen der Hippies haben den heutigen Tourismus geprägt. (Bild: CREATISTA – shutterstock.com)

Aus den ersten Backpackern hat sich ein echtes Massenphänomen entwickelt. Die Zahl der Rucksacktouristen steigt noch immer von Jahr zu Jahr. Die klassischen Destinationen wie Indien und Thailand stehen dabei genauso auf der Liste wie bisher unbekannte Regionen wie zum Beispiel Albanien oder Montenegro. Was heute noch genauso gilt wie damals: Die Entwicklungen im Tourismus sind stets von zwei Seiten zu sehen. Einerseits erfahren ärmere Länder einen Aufschwung durch den Tourismus, gleichzeitig fehlt es an vielen Ecken an einer sinnvollen Strukturierung und einer nachhaltigen Orientierung. Lärmbelästigung für die Anwohner, Müllprobleme und Verdrängung der Flora und Fauna sind Folgen, die auch beim Pauschaltourismus Probleme bereiten.

Der Grundgedanke, fremde Regionen nachhaltig und langsam zu erfahren, ist aber trotzdem bis heute aktuell. Dazu kommt das wachsende Bewusstsein um die Verantwortung als Tourist. Alternativ reisen im Sinne ökologischen und nachhaltigen Tourismus ist ein seit Jahren wachsender und gefragter Bereich der Tourismusindustrie, was auf eine positive Entwicklung bei Alternativreisen hoffen lässt.

Die Ausprägungen sind dabei ganz unterschiedlich. Von Ferien in Bio-Hotels über CO2-sparendes Reisen bis hin zu Langzeitreisen gehen die Trends in verschiedene Richtungen und das Angebot nimmt zu. Auch spirituelle Reisen, die ihre Wurzeln bei den Hippies haben, erfahren eine grosse Nachfrage. Yoga-Retreats und Meditationsreisen gibt es in fast alle Länder, und auch Aufenthalte in Klöstern werden nachgefragt. Viele touristische Angebote entstanden mit den Trecks der Alternativen in den 60er-Jahren und haben sich an die heutigen Bedürfnisse angepasst.

 

Artikelbild: © Nejron Photo – shutterstock.com

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Mehr zu Julia Schattauer

Julia Schattauer ist freie Autorin und leidenschaftliche Bloggerin. Geschichten vom Reisen sind ihr Steckenpferd. Neben nützlichen Fakten geht es ihr in erster Linie ums Storytelling. Darum, den Leser in die Welt mitzunehmen und sein Fernweh zu wecken. Als studierte Kunsthistorikerin, Tourismus-, und Literaturwissenschaftlerin schreibt sie ausserdem über Themen aus Kunst und Kultur.

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