Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich - die Aufklärung in Gartenkunst umgesetzt

Gut hundert Kilometer südwestlich der deutschen Hauptstadt Berlin breitet sich im Umfeld der Elbe eine Garten- und Parklandschaft aus, die auf dem europäischen Kontinent ihresgleichen sucht – das Dessau-Wörlitzer Gartenreich.

Seine Entstehung verdankt dieses Reich der Gartenkunst einem lokalen Fürsten aus dem Zeitalter der Aufklärung, Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau.

Das Gartenreich gehört heute zum UNESCO-Welterbe und ist Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe. Es bildet damit nicht nur ein von Menschenhand geschaffenes Kunstwerk, sondern fügt sich auch harmonisch in die Natur und die Flusslandschaft der Elbe ein.

Ein Fürstentum wird zum Gartenreich

Fürst Leopold III. Friedrich Franz war einer der ungewöhnlichsten Herrscher seiner Zeit. Sein kleines Fürstentum Anhalt-Dessau bildete einen der zahllosen deutschen Kleinstaaten, die die Endzeit des Heiligen Römischen Reiches im 18. Jahrhundert prägten. 1758 bestieg er den Thron dieses Winzlings-Fürstentums, das er bis 1817 regieren sollte. Seine Regierungszeit fällt damit mitten in die Hochphase der Aufklärung, die französische Revolution und die napoleonische Ära. Um überregionale politische Bedeutung zu erlangen, fehlten dem Fürsten die Voraussetzungen. Sein „Reich“ war schlicht zu klein. Dafür setzte er viel Energie in dessen innere Entwicklung. Anhalt-Dessau sollte unter seiner Regentschaft zu einem der modernsten Staatswesen seiner Zeit werden.

Vor seinem Regierungsantritt hatte der Fürst eine Reihe von Studienreisen ins Ausland unternommen, die ihn unter anderem nach England, Frankreich, Holland, Italien und auch in die Schweiz führten. Solche Reisen gehörten damals zum Standardprogramm der Fürstenausbildung. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen setzte er die dabei gewonnenen Erkenntnisse später in die Tat um. Sein umfangreiches Reformprogramm betraf Bildung, Sozialwesen, Strassenbau, Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft. Neue Formen der Gartengestaltung hatte der Fürst vor allem in England kennengelernt. Hier hatte man sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits von den Vorstellungen des barocken Gartens gelöst. Folgt der Barockgarten klarer Symmetrie und strengen geometrischen Mustern, wollte man sich im englischen Landschaftspark eher den natürlichen Landschaftsformen mit ihren geschwungenen Linien nähern. Diese Ideen beeindruckten den Fürsten und nach seiner Rückkehr nach Dessau begann er damit, seinen Gartenreich-Traum zu verwirklichen.



Dabei handelt es sich nicht im klassischen Sinne um einen einzigen Park. Der von seinen Untertanen „Vater Franz“ genannte Fürst ging vielmehr daran, sein ganzes Territorium im Sinne der Gartenkunst umzugestalten. Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich umfasst eine Fläche von rund 142 Quadratkilometern, de facto das gesamte frühere Fürstentum Anhalt-Dessau. Es verbindet in diesem Sinne Landschaftsgärten, Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen zu einer harmonischen Einheit. Die einzelnen Landschaftselemente wurden dabei systematisch miteinander vernetzt. Dem Fürsten ging es mit seinem Projekt nicht nur darum, eine „verzierte“ Landschaft zu gestalten, er verfolgte auch einen pädagogischen Ansatz. So wurden im Gartenreich bewusst innovative landwirtschaftliche Methoden präsentiert, bei den Bauten folgte man neuesten Entwicklungen der Architektur und bei der Gartengestaltung ging es nicht nur um Ästhetik, sondern auch um Bildung im Sinne des Humanismus. Aus diesem Grund waren die Parks von Anfang auf Zugänglichkeit für ein breites Publikum angelegt. Der Anspruch des Gartenreichs geht daher wesentlich weiter als beim klassischen Englischen Garten. Das macht das Konzept und seine Umsetzung so einzigartig.

Schloss Wörlitz und Wörlitzer Park

Einer der ältesten Teile des Gartenreiches ist der Wörlitzer Park. Er wurde im Bereich von Elbe-Altwasser-Flächen beim Örtchen Wörlitz angelegt und stellt einen der ersten englischen Landschaftsgärten auf deutschem Boden dar. Mit einer Fläche von gut 112 Hektar ist er auch nach wie vor einer der grössten seiner Art in unserem Nachbarland. Der Wörlitzer Park wird von ausgedehnten Wasserflächen, darunter dem Wörlitzer See, durchzogen. Daher gehören zahlreiche Brücken mit zum Bild, darunter Deutschlands erste Brücke aus Gusseisen.


Den Mittelpunkt der Gartenanlage bildet Schloss Wörlitz. (Bild: © Takashi Images – shutterstock.com)

Den Mittelpunkt der Gartenanlage bildet Schloss Wörlitz. Der helle, zartgelbe Bau mit seinem Säulen-Portikus ist ganz von englischen Vorbildern inspiriert, mit ihm wurde der Klassizismus in Deutschland als Baustil überhaupt erst begründet. Das Schloss konnte im Wesentlichen noch seine Originalausstattung aus dem 18. Jahrhundert bewahren, darunter auch die Antikensammlung des Fürsten und wertvolle Keramiken. Stilbildend wirkte auch das auf dem Parkgelände errichtete Gotische Haus, das sich zu einer Seite wie eine venezianische Kirche und zur anderen Seite wie ein Gebäude im Stil der englischen Tudor-Gotik zeigt. Das Gotische Haus ist der Ursprungsbau der Neugotik in Deutschland, die im 19. Jahrhundert sehr verbreitet war. Zum Parkgelände gehören eine Reihe weiterer Baudenkmäler, darunter eine Synagoge in Art eines antiken Rundtempels, eine Kirche, eine Villa am Fusse eines künstlichen Vulkans, ein Piemonteser Bauernhaus, Venustempel, Pantheon und einiges mehr. Zum Teil sind diese „Accessoires“ Reminiszenzen an die Studienreisen des Fürsten, zum Teil folgen sie aber auch seinem pädagogischen Programm. Der Wörlitzer Park ist so etwas wie das Herzstück des Gartenreichs.

Georgium – englischer Landhausstil und Ruinen

Daneben gilt das sogenannte Georgium als der zweite bedeutendste Landschaftspark im ehemaligen Fürstentum Anhalt-Dessau. Er wurde nicht vom Fürsten selbst initiiert und umgesetzt, sondern von seinem jüngeren Bruder Johann Georg – daher der Name. Das Georgium gruppiert sich um ein kleines Schloss, das dem Landhaus-Stil des englischen Klassizismus verpflichtet ist. Der Park des Georgiums folgt ebenfalls englischen Vorbildern und beeindruckt mit einer Vielzahl klassizistischer und romantischer Parkbauten –  Skulpturen, Tempel, Denkmäler -, die sehr harmonisch in das Konzept der Gartenanlage eingefügt wurden. Zu den Highlights gehören mehrere künstliche Ruinen, darunter eine römische Ruine, die Burgruine Wallwitzburg und eine Ruinenbrücke. Solche Ruinenbauten waren in fürstlichen Gartenanlagen dieser Zeit sehr beliebt.


Georgium – englischer Landhausstil und Ruinen (Bild: © LianeM – shutterstock.com)

Oranienbaum – ein Stück Holland in Deutschland

Nur wenige Kilometer vom Wörlitzer Park entfernt liegt Schloss Oranienbaum, das zusammen mit seinem Park einen weiteren Baustein des Gartenreichs bildet. Ursprünglich als Sommerresidenz gedacht, wurde Oranienbaum später als Witwensitz und Jagdschloss genutzt. Der Schlossbau folgt noch ganz dem Barock und stellt zusammen mit der zugehörigen planmässigen Stadtanlage ein rares Beispiel niederländischer Architektur aus dieser Zeit in Deutschland dar. Die Erklärung hierfür ist einfach: das Schloss wurde ursprünglich für die aus den Niederlanden stammende Fürstin Henriette Catharina erbaut, die hier ein Stück Heimat wiederfinden sollte. Der Park von Schloss Oranienbaum bildet insoweit ein Unikum, als er englische und chinesische Gartengestaltung miteinander verbindet. Eine Pagode und ein chinesisches Teehaus gehören zu den Schmuckelementen des Landschaftsgartens. Damit folgte man einer damals beliebten Mode. China war sozusagen „in“.


Oranienbaum – ein Stück Holland in Deutschland (Bild: © LianeM – shutterstock.com)

Noch viele andere Schätze 

Noch am meisten der barocken Gartengestaltung verhaftet ist der Lustgarten von Schloss Mosigkau. Das Schloss wurde für eine der zahlreichen Prinzessinnen aus dem Hause Anhalt-Dessau errichtet. Äusserlich vergleichsweise schlicht gehalten, bietet Mosigkau im Inneren einen überraschend reichen Rokoko-Schmuck, der aber niemals überladen wirkt. Den Glanzpunkt des anmutigen Baus, dessen Pläne vom Architekten von Sanssouci stammen sollen, bildet der Galeriesaal. Der Lustgarten folgt in Teilen noch den geometrischen Mustern des Barock, ein Labyrinth und Heckenpartien sind typische Gestaltungselemente.



Die Liste des Gartenreiches ist damit noch längst nicht vollständig. Das Luisium umfasst einen weiteren englischen Garten, der rund um ein klassizistisches Landhäuschen angelegt wurde. Es ist ein Geschenk des Fürsten an seine Gemahlin Luise, die es als privaten Rückzugsort nutzte. Der Garten des Luisiums wirkt strukturierter als die anderen Landschaftsgärten im Gartenreich, besitzt aber dennoch eine sehr persönliche Atmosphäre. Waldparks stellen die Gartenanlagen am Sieglitzer Berg und Leiner Berg dar. Sie sollten nach dem Willen des Fürsten eine „geordnete Wildnis“ zeigen. Insgesamt präsentiert das Gartenreich seinen Gästen sechs Schlösser, sieben eindrucksvolle Garten- und Parkanlagen sowie mehr als 100 Kleinarchitektur-Bauten – ein besonders eindrucksvolles kunst- und kulturhistorisches Zeugnis.

 

Oberstes Bild: © LianeM – shutterstock.com

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem grossen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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