Der Baikalsee - ein sibirisches Binnenmeer

Sibirien sprengt mit seinen Dimensionen die an eng abgegrenzte Räume gewöhnte Vorstellungswelt des Mitteleuropäers. Das gilt auch für eines der schönsten Naturwunder in dieser gewaltigen Landmasse, den Baikalsee.

„Bajgal nuur“ – „reicher See“ – heisst das riesige Binnengewässer in der Sprache der einheimischen Burjaten. Und reich ist der Baikalsee in der Tat, er weist eine äusserst vielfältige Flora und Fauna mit zahlreichen endemischen Arten auf – eine Art Galapagos auf Russisch.


Insel Olchon im Baikalsee (Bild: Mikhail Markovskiy / Shutterstock.com)

Im Umfeld der alten Handelsstadt Irkutsk

Hierher zu gelangen, ist gar nicht so einfach. Der Baikalsee liegt schon recht weit östlich in Sibirien inmitten der sogenannten südsibirischen Gebirgsketten. Seine Südspitze reicht nahe an die Grenze zur Mongolei heran, von der er durch Berge getrennt wird. Das urbane Zentrum der Region ist die alte Handelsstadt Irkutsk. Ursprünglich aus einem Kosakenfort entstanden entwickelte sie sich im 18. Jahrhundert zum Mittelpunkt des Handels mit den Schätzen des weiten Landes und dem benachbarten Kaiserreich China. Irkutsk liegt am Fluss Angara – einem Abfluss aus dem Baikalsee – und ist daher mit diesem unmittelbar verbunden. Rund 60 Kilometer trennen Irkutsk von dem See. Die Stadt gilt auch heute als wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt der Region und bietet Besuchern zahlreiche Kirchen und Klöster als historische Sehenswürdigkeiten. Von hier aus führt die Baikalbahn als Teilstück der berühmten Transsibirischen Eisenbahn an die Südseite des Sees. Zweihundert Brücken und mehr als dreissig Tunnel waren für den Bau der Trasse vor über hundert Jahren nötig und machen die Bahnfahrt auch heute zum Erlebnis.


Kloster des Heiligen Wladimir in Irkutsk (Bild: www.pribaikal.ru, Wikimedia)

Ältestes und grösstes Süsswasser-Reservoir der Welt

Die Ausmasse des Sees sind riesig. Wie eine halbliegende Mondsichel erstreckt er sich von Bergland und Nadelwäldern umrahmt von Südwesten nach Nordosten in den Weiten der sibirischen Landschaft. In der Längsrichtung misst der Baikalsee atemberaubende 673 Kilometer, an der breitesten Stellte erreicht er 82 Kilometer, im Schnitt ist er 48 Kilometer breit. Mit einer Gesamtfläche von mehr als 31.000 Quadratkilometern umfasst er eine Fläche von drei Vierteln der Schweiz. Die tiefste Stelle erreicht 1642 Meter. Kein anderes Binnengewässer der Erde kann das bieten. Aufgrund der ausserordentlichen Tiefe und der flächenmässigen Ausdehnung ist der Baikalsee ein gigantisches Wasserreservoir. Seine Wasserkapazität umfasst mehr als 23.000 Kubikkilometer – mehr als alle Grossen Seen Nordamerikas zusammen. Es handelt sich um ein Fünftel der Süsswasser-Reserven der Welt, auch dies ein unerreichter Rekordwert.

Seine Entstehung verdankt der Baikalsee einem kontinentalen Grabenbruch. Entlang des Baikalgrabens driften die eurasische und die amurische Kontinentalplatte seit Jahrmillionen auseinander. An der Bruchzone hat sich vor 25 Millionen Jahren der See gebildet. Er ist damit das älteste noch existierende Binnengewässer der Erde überhaupt. Obwohl es im Umfeld des Sees Industrie-Ansiedlungen mit Umweltschädigungen gibt, gilt sein Wasser bis heute als ausserordentlich rein. Es hat Trinkwasserqualität, was nur wenige Seen von sich behaupten können. Zur Wasserreinheit trägt ein natürliches Klärsystem bei. Im Baikalsee leben Unmengen winziger Flohkrebse, die ständig Algen, Bakterien sowie verendete Fische und Tiere vertilgen. Sie halten dadurch das Wasser klar und sauber. Der See und sein Umfeld bilden Lebensräume für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Etliche davon kommen nur hier vor, zum Beispiel die Baikalrobbe oder der Omul, eine spezielle Maränenart. Offenbar bot und bietet der See einzigartige Lebensbedingungen, die zur Artenvielfalt beigetragen haben.


Das Wasser des Baikalsees gilt bis heute als ausserordentlich rein. (Bild: Xchgall, Wikimedia, GNU)

Menschenleer und fast unberührt

Das Klima rund um den See ist sibirisch-typisch kontinental geprägt mit kalten Wintern und warmen Sommern. Die Übergangszeiten Herbst und Frühjahr sind dabei relativ kurz. Die Wassertemperatur fällt – bedingt durch die grossen Tiefen – relativ niedrig aus. Sie beträgt im Jahresschnitt nur 7o C – und zwar an der Oberfläche. Zwischen November und April ist der Baikalsee trotz seiner grossen Fläche üblicherweise zugefroren. Wer hier baden will, muss also nicht nur die richtige Jahreszeit wählen, sondern auch eine gehörige Portion Abhärtung mitbringen.

Touristisch wurde der Baikalsee bisher – obwohl von grosser natürlicher Schönheit – kaum erschlossen. Nur wenige Orte sind an seinen Ufern zu finden. Die Region ist fast menschenleer, was für uns kaum vorstellbar ist. Am ehesten auf Touristen eingestellt ist noch das Dörfchen Listwjanka am Südwestufer, die Nähe zu Irkutsk macht sich bemerkbar. Hier gibt es etliche Hotels und Gästehäuser. In der Nähe liegt das Freilichtmuseum Talzy, in dem historische Bauernhäuser, Kirchen und Befestigungen aus Sibiriens „Entdeckerzeit“ wiederaufgebaut wurden. Sie vermitteln einen guten Eindruck vom „Wilden Osten“ Russlands. Babuschkin am Südostufer und Sewerobaikalsk im Nordosten sind Ausgangspunkte für Touren in ihren jeweiligen Seeabschnitten und verfügen ebenfalls über touristische Einrichtungen.


Elenas Felsen im Baikalsee (Bild: Anastasia Osling, Wikimedia, CC)

Ziel für Individualreisende

Die Orte am See können in der Regel von Irkutsk aus gut auf dem Wasser erreicht werden. Es gibt entsprechende Katamaran-Verbindungen, was ein Erlebnis an sich ist. Eine Tour von Irkutsk nach Sewerobaikalsk dauert zum Beispiel zehn Stunden und ist eine Attraktion, weil man den See in fast seiner ganzen Länge durchquert. An den einzelnen Orten gibt es Angebote für Trekking- und Wander-Touren, um die unberührte Landschaft der Region zu entdecken.

Ein gerne besuchtes Ziel ist zum Beispiel die Bucht von Pestschannaja rund 80 Kilometer nördlich von Listwjanka. Die Bucht bezaubert Besucher mit ihren pittoresken Felsen. Sie ist ausserdem für ihr vergleichsweise mildes und sonniges Klima bekannt – eine Art „sibirische Riviera“. Sogar ein Feriendorf für gehobene Ansprüche befindet sich hier. Auch dabei gilt: Anreise ist nur auf dem Wasser möglich, denn Strassen gibt es nicht.

Das trifft auch auf Olchon zu. Olchon ist mit einer Fläche von rund 730 Quadratkilometern die grösste Insel im Baikalsee und liegt ebenfalls nördlich von Listwjanka. Ihr Wahrzeichen ist der „Schamanenfelsen“ – ein heiliger Ort für die einheimischen Burjaten. Olchon begeistert Reisende mit seinen vielfältigen Landschaften. Es gibt schroffe Steilküsten, lange Sandstrände, karge Hügel, Taiga-Wälder und grasbewachsene Flächen. Von den Höhen der Insel bieten sich wunderbare Blicke auf den Baikalsee – ein Grund, warum sich Olchon in den letzten Jahren zu einem beliebten Ziel für Individualtouristen entwickelt hat.



Eine Region in Weltabgeschiedenheit

Noch verharrt der Baikalsee in Weltabgeschiedenheit, obwohl er enormes touristisches Potential bietet. Wer hierher kommt, muss sicher auf den üblichen Komfort herkömmlicher Reiseziele verzichten. Dafür kann man an diesem Ort – im wahrsten Sinne des Wortes – auf Entdeckungsreise gehen und ursprüngliche Natur kennenlernen, wie sie in den engen Räumen Europas nicht mehr zu finden ist. Es bleibt zu wünschen, dass auch in Zukunft eine angemessene Balance zwischen der Bewahrung der einmaligen Natur rund um den See und den Bedürfnissen der modernen Zivilisation gefunden wird.

 

Artikelbild: © Nikitin Victor / Shutterstock.com

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem großen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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