Island – das letzte Radel-Abenteuerland Europas

Der Wind tobt, nicht nur ein bisschen, sondern ein bisschen zu viel, und das bereits den ganzen Tag. Er kommt meistens in Böen und ist dadurch unberechenbar.

Bläst er von der Seite, reisst es mich jedes Mal fast von der Piste, da mir die Kraft fehlt, das Rad zu halten, wenn sich der Wind in den Taschen verfängt.

Die Wolken sind zum Greifen nahe, richtige Sturmwolken, wunderschön anzuschauen.

Der Regen lässt nicht lange auf sich warten und prasselt mir heftigst ins Gesicht. Keine Unterstellmöglichkeiten weit und breit.

Nein, das ist Island, wir sind im Hochland unterwegs. Umgeben von Vulkanwüste im Niemandsland. Hier gibt es kein Haus, keine Hütte, hier gibt es nur die Wildnis und das extreme Wetter.


Umgeben von Vulkanwüste im Niemandsland. (Bild: © Heike Pirngruber)

Eine Furt versperrt uns beiden den Weiterweg. Das Wasser kommt vom Gletscher, hat etwa 3-4 Grad. Heute haben wir allerdings Glück, denn es war seit Tagen kalt und der Wasserstand ist niedrig, somit ist keine Gefahr, dass uns die Strömung mit reissen könnte. Schuhe ausziehen, Hose hochkrempeln und rein ins Vergnügen.

Die Stimmung kippt, wir haben die Nase gestrichen voll, denn kaum haben wir diesen Fluss überwunden, steht schon wieder der Nächste an. Die zehnte Furt für den heutigen Tag. Vorwärts kommen wir auch nicht, denn wir sitzen seit 8 Stunden im Sattel und haben gerade einmal 40 Kilometer bisher geschafft – eine Distanz, die ein schlechter Marathonläufer in der Hälfte der Zeit zurücklegt.

Der Wind ist weiterhin brutal, doch bin ich froh, dass es regnet, denn ein typischer Island-Sandsturm wäre noch viel schlimmer.

Ein Glück ist es im Sommer abends lange hell, denn es graust uns davor, das Zelt bei dem brutalen Sturm aufzubauen, und im Stillen hoffen wir, dass das Wetter sich endlich bessert, denn es gibt nichts Schlimmeres als ein zerfetztes Zelt in der Wildnis.


Die Berge strahlen in allen Farben und überall zischt es aus dem Boden heraus. (Bild: © Heike Pirngruber)

Ich habe Bärenhunger und könnte 3 Portionen Spaghetti vertragen, doch bei dem Wetter anhalten und kochen kühlt uns zu sehr aus. Der Kocher würde eh nicht lange brennen, daher gönne ich mir ein paar meiner Kekse und mache, dass ich weiter komme. Frank ist weit hinter mir und wir haben seit Stunden nicht mehr miteinander gesprochen, jeder kämpft für sich, obwohl ich heilfroh bin, dass er hier ist.

Ich hoffe auf eine Nothütte, die es hier im Hochland immer mal wieder gibt. Dort könnten wir zumindest im Trockenen etwas zu Essen kochen.

Wir haben Glück, denn keine Stunde später entdecke ich am Horizont eine Holzhütte.

Die ersten Menschen seit 5 Tagen. Drei Schweizer belagern bereits die paar Quadratmeter, die die Hütte gross ist, und bevor sie uns grüssen, fragen sie als allererstes, ob wir etwas zu Essen haben.

„Äh, nein, tut uns leid, nicht auch noch für drei hungrige Kerle, wir haben selber Hunger ohne Ende und sind noch lange nicht wieder in der Zivilisation zurück.“ Die drei queren die Insel zu Fuss und haben sich leider mit der Verpflegung verkalkuliert.


Der Weg ist mit grossen Vulkansteinen bestückt. (Bild: © Heike Pirngruber)

Man wird zum Tier hier draussen, und innerlich tat es mir irre leid, den Jungs nichts abgeben zu können.

Kaum gegessen, liegen wir in der Koje und schlafen wie die Bären während des Winterschlafs.

Der nächste Tag bringt Stille. Kein Wind, kein Regen. Es ist herrlich. Die Sonne zeigt sich ein paar Sekunden und verwandelt die Umgebung in eine wunderschöne Vulkanlandschaft. Es ist einfach nur traumhaft . Der Weg ist nun mit grossen Vulkansteinen bestückt und macht uns wieder ordentlich zu schaffen, doch im Vergleich zu gestern ist das ein Kinderspiel.

Doch am Abend tobt der nächste Sturm und wir versuchen krampfhaft das Zelt aufzustellen.  Während Frank die Heringe in den Boden haut, liege ich als Zeltbeschwerer quer über dem Stoff. Unsere Unterlegplane hatten wir bereits unachtsamerweise vor zwei Tagen weg fliegen sehen.

Drei lange Tage später kommt uns an einer Kreuzung das erste Auto seit 8 Tagen entgegen und wir fragen die Fahrer nach Essen. Deutsche Urlauber sagen zu uns: „Keine 30 Kilometer in östlicher Richtung gibt es einen kleinen Laden, da seid ihr ja bald.“


Die Sonne zeigt sich ein paar Sekunden und verwandelt die Umgebung in eine wunderschöne Vulkanlandschaft. (Bild: © Heike Pirngruber)

„Nein, sind wir nicht, wir haben ein Rad und es stürmt wie blöd, und wir brauchen für die Strecke mindestens einen halben Tag, haben aber keinen Krümel mehr zu Essen, ausserdem wollen wir gar nicht in diese Richtung“, antworte ich und denke innerlich mit schlechtem Gewissen an die Schweizer zurück und hoffe, dass die Männer Mitleid mit uns haben.

Kekse und Schokolade geben sie uns und wir fallen über den Süsskram her, als hätten wir noch nie Schokolade gegessen.

Landmannalaugar, eine beeindruckende Gegend. Die Berge strahlen in allen Farben, überall zischt es aus dem Boden heraus und Nebelschwaden steigen aus der heissen Erde empor. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist einfach nur faszinierend was die Natur hier für eine traumhafte Naturkulisse gebastelt hat.

Wir passieren weitere Vulkane und kämpfen uns mit dem nächsten Regen auf die geteerte Ringstrasse in die Zivilisation zurück. Der erste Supermarkt seit 11 Tagen, doch leider stehen wir vor verschlossenen Türen.


Elf Tage nur Reis und abgepackte Sossen. (Bild: © Heike Pirngruber)

„Das kann jetzt nicht wahr sein“, schimpft Frank vor sich hin. „Was machen wir jetzt?“

Elf Tage nur Reis und abgepackte Sossen, Notrationen in den letzten Tagen, irre teures Essen am Landmannalaugar, und nun hat dieser Laden zu, der einzige weit und breit. Wir stehen wie die Geier an der Türe und drücken unsere Nasen an der Fensterscheibe platt. Uns läuft das Wasser im Mund zusammen, als wir die vollen Regale sehen. Die Stimmung ist zum Platzen angespannt.

Wir fragen Einheimische um Hilfe. „Ab 20 Uhr gibt es Büffet, keine drei Strassen weiter“, erklärt uns ein Isländer. Bingo.

Wir stehen bereits mit den Tellern am Büffettisch, obwohl der Tisch noch nicht einmal mit einer Tischdecke bestückt ist. Mir ist bereits schlecht vor Hunger, und während ich mich noch selber bedauere, kommen die drei Schweizer Wanderer zur Türe herein.

Zu fünft fallen wir über das Essen her und ich habe das Gefühl, ich würde die besten Spaghettis meines Lebens essen. Doch leider mache ich einen riesen Fehler. Ich war so gierig, dass ich die ganze Nacht vor lauter Bauchschmerzen nicht mehr schlafen kann. Selber Schuld.

Ein weiterer Tag geht ins Land, bis wir den schlimmsten Wind unseres gesamten Aufenthaltes ertragen müssen. Zu allem Übel auch noch Seitenwind. Jedes Mal, wenn mich ein LKW überholt, werde ich zuerst in die Fahrbahnmitte gezogen. Wenn der LKW kaum später allerdings wieder vorbei gedonnert ist, bekomme ich plötzlich so einen Wahnsinns-Windschub verpasst, dass ich rechts die Böschung runtergeschmissen werde.


Die Gletscherlagune ist eines der Highlights des Landes. (Bild: © Heike Pirngruber)

Ich bin am Ende meiner Kräfte, und als ich zum dritten Mal im Graben liege, fange ich vor lauter Zorn und Verzweiflung  an, das Rad auf einer kerzengeraden, super geteerten Straβe zu schieben, und hoffe innerlich auf ein Wunder.

Die Kilometer nehmen kein Ende, der Sturm auch nicht. Nein, er wird sogar immer schlimmer, je näher wir dem Gletschersee Jökulsarlon kommen. Es ist einfach nur brutal hier draussen.

Der eiskalte Wind pfeift direkt vom Gletscher herunter. Ein Glück hat er gedreht, so kann ich im Windschatten von Frank versuchen mitzuhalten. Ich bin mächtig beeindruckt, wie er es schafft, doch noch 4 km/h zu radeln. Frank brüllt nach hinten: „Kurve in Sicht“. Wir hoffen beide, dass sich hinter der Kurve irgendetwas tut. 200 m später ist der Zauber vorbei. Windstill, Ruhe. „Wahnsinn“, brüllen wir in die Welt hinaus, und vor Freude dopsen wir auf den Pedalen umher. Irgendwo ein irres Erlebnis, wenn auch ultrahart erarbeitet.



Die Gletscherlagune ist sicherlich eines der Highlights des Landes, und wir haben den besten Zeltplatz der ganzen Insel in Beschlag. Die Belohnung für all die Strapazen der letzten Tage.

 

Oberstes Bild: © Heike Pirngruber

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Mehr zu Heike Pirngruber

Heike Pirngruber (43) radelt seit Mai 2013 alleine von Deutschland in Richtung Australien. 27 Länder hat sie dabei auf ihrem Weg bereits durchstreift. Sie ist gelernte Fotografin und Kamerafrau und führt über ihre Radweltreise einen faszinierenden Blog auf www.pushbikegirl.com.

www.facebook.com/pushbikegirl

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