Kampf um Sandburgen – Strände werden als Baumaterial abgetragen

„Wie Sand am Meer“ liegt der Sand am Strand, aber unsere heutige moderne Industriegesellschaft benötigt immer grössere Mengen davon. Der Kampf um Öl und Gas ist uns durch tägliche Meldungen in den Medien wohl bekannt, während das weltweite Ringen um Bausand jenseits der Öffentlichkeit ausgetragen wird.

Sand gibt es fast überall – in der Natur, in Stahlbeton, in Computern, Alltagsprodukten und Kosmetika. Die Nachfrage ist riesig, aber die früheren Abbaugebiete sind erschöpft. Darum wird zur Gewinnung von Bausand zunehmend Raubbau an den Küsten betrieben, und unsaubere Geschäftspraktiken wie der Sandschmuggel florieren.

Sand – Erinnerungen an die Kindheit, Ferien am Meer, Begegnung im Alltag

Sand kennt jeder. Selbst in seiner unverarbeiteten Form ist er allgegenwärtig – im Garten, auf dem Spielplatz, auf Spazierwegen und Sportplätzen, in Bach- und Flussbetten und natürlich am Strand. Wir ärgern uns, wenn wir ihn aus Versehen in die Augen, Ohren oder Schuhe bekommen. Wir vergraben lustvoll die nackten Zehen darin, lassen ihn durch die Finger rieseln und fühlen Fernweh und Heimweh. Wir drehen die Sanduhr um und denken an die Vergänglichkeit. Und natürlich lieben wir es, mit Sand zu spielen und zu bauen.

Nicht nur Kinder haben Freude daran, Sandkuchen zu backen, Sandburgen und Sandschlösser zu errichten und Kanal- oder Höhlensysteme in den feuchten Sand zu buddeln. Auch für die Erwachsenen, für Ingenieure, Techniker und Forscher, bleibt Sand ein heiss begehrter Rohstoff. Er ist biokompatibel und als Baustoff äusserst vielseitig, verbindungsfreudig und wandlungsfähig. Darum ist inzwischen in viel mehr Produkten Sand enthalten, als die meisten wissen.


Sand – Erinnerungen an die Kindheit und Ferien am Meer. (Bild: Martin Valigursky – shutterstock.com)

Milliarden Tonnen verschlingt der Bauboom weltweit

Am allermeisten Bausand verbraucht nach wie vor der Bausektor. Vor ungefähr 150 Jahren hat der Mensch gelernt, durch Mischen von Bausand und Zement Beton herzustellen. Und seit der Erfindung des extrem stabilen und freier formbaren Stahlbetons kennen die Vorstellungen der Bauplaner und die Gier der Baulöwen kaum noch Grenzen: Zwei von drei Gebäuden auf der Erde sind mittlerweile aus Stahlbeton. Immer grössere, höhere und extravagantere Wolkenkratzer ragen in den Himmel, und Monumente aus Beton prägen die Gesichter und Skylines der Grossstädte.

Stahlbeton besteht zu rund zwei Dritteln aus Bausand und ist daher vergleichsweise billig zu produzieren. Das ist der Hauptgrund für den Boom dieses Werkstoffs. Der Sandbedarf im Bausektor ist riesig: Über 15 Milliarden Tonnen Sand verschlingen die Bauprojekte der Welt pro Jahr, Tendenz steigend – denn der Sandhandel spürt kaum etwas von der Wirtschaftskrise und vom internationalen Strukturwandel.

Zum Bau eines grossen Gebäudes, etwa einer Schule oder Klinik, sind rund 3000 Tonnen Bausand erforderlich. Zehnmal so viel werden benötigt, um einen Autobahnkilometer zu bauen, und für ein neues Kraftwerk können locker bis zu 15 Millionen Tonnen Sand verbaut werden. Es gibt nur zwei Wirtschaftsgüter, von denen die Menschheit noch mehr verbraucht, und das sind Luft und Wasser.


Bauboom in China: Fläche von Gebäuden im Bauzustand bis 2013. (Quelle: © Statista)

Der Bausande der technologisierten Welt enthalten Silizium und Bentonit

Nicht nur ein grosser Teil der Erdoberfläche und der Kölner Dom, sondern die gesamte westliche Industrie und Wirtschaft sind auf Sand gebaut. So wird etwa sämtliches Glas der Welt durch Schmelzen von Sand hergestellt, und in vielen Reinigungs- und Waschmitteln ist Siliziumdioxid enthalten, das einen grossen Teil der natürlichen Sandvorkommen ausmacht.

Siliziumdioxid ist ungiftig, da es im menschlichen Organismus keine chemischen Verbindungen eingeht. Es kann den Verdauungstrakt passieren und wird in unveränderter Form wieder ausgeschieden: Wenn das Kind Sand isst, finden die Eltern später Sand in der Windel.

Bausand, Meersand und fein abgestimmte Sand-Salz-Mischungen punkten ausserdem durch eine hervorragende Schleifwirkung – ob als grobe Körner auf dem Sandpapier oder feinste Putz- und Schmirgelkörper in Peelings und Zahnpasten.

Eine ebenfalls sehr interessante Sandart ist Bentonit, ein Gemisch aus unterschiedlichen Tonmineralien. Es besteht zu rund drei Vierteln aus Montmorillonit, einem Material, das sehr gute Quelleigenschaften aufweist und ein sehr guter Flüssigkeitsspeicher ist. Als Nebenbestandteile enthält Bentonit das aus dem Schulunterricht bekannte Trio Feldspat, Quarz und Glimmer („… die vergess’ ich nimmer“) und weitere Begleitminerale wie Calcit und Pyrit („Katzengold“).

Bentonit ist ein beliebter Zusatzstoff in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, in Alltagsprodukten, Pflegemitteln und Kosmetika. Es kann zur Klärung bzw. Schönung von Fruchtsäften, Weinen und Kakaobutter eingesetzt werden. In vielen Katzenstreus ist es enthalten, ebenso in Spezialmischungen zum Reinigen bzw. Klären von Gartenteichen und Aquarien.

Bentonithaltige Produkte zum Einnehmen oder Auflösen in Wasser werden unter anderem zur Körperentgiftung angeboten. Durch seine hohe Quellfähigkeit kann das Mineralgemisch Emulsionen binden und ist daher ein guter Grundstoff für Kosmetik und Zahnpflegeprodukte (erkennbar an der INCI-Bezeichnung „Bentonite“). Als Lebensmittelzusatz mit der Bezeichnung E558 ist Bentonit in der EU seit Mai 2013 nicht mehr zugelassen.

Zur Herstellung elektronischer Geräte sind bestimmte Metalle und Minerale erforderlich, die aus besonders hochwertigem und feinem Sand gewonnen werden, zum Beispiel Silizium, Titan und Uran. Nicht umsonst wird die Hochburg der Computertechnologie und Softwareentwicklung Silicon Valley genannt – das Silizium-Tal.

Ohne den richtigen Bausand wäre die Produktion von Computerchips und Displays, Handys, Smartphones oder Geldautomaten nicht möglich. Die gesamte Informations- und Internetgesellschaft, die sich längst nicht mehr nur unter dem Überbegriff „westliche Welt“ subsumieren lässt, hätte ohne Sand nicht entstehen können – und wenn sie in ihrer heutigen Form weiterhin funktionieren und wachsen soll, darf der Menschheit nicht der Sand ausgehen.


Stahlbeton besteht zu rund zwei Dritteln aus Bausand. (Bild: chartcameraman – shutterstock.com)

Warum wird Bausand überhaupt knapp?

Sand als knappes Gut zu bezeichnen erscheint auf den ersten Blick ebenso absurd, als wolle man die Fruchtfliege unter Artenschutz stellen. Tatsächlich ist der richtige Bausand inzwischen aber längst nicht mehr so leicht zu finden und abzubauen wie früher. Die geeigneten natürlichen Sandvorkommen sind erschöpft, und das Ausbaggern von Sandgruben, Seen und Flüssen hat zu Umweltproblemen wie dem Rückgang der Artenvielfalt und der Verschandelung vieler ehemals schöner Landschaften geführt.

Längst wird ein Grossteil der Sandnachfrage durch Gewinnung von Bausand am Meeresgrund gedeckt. Dort fördern ganze Flotten gigantischer Schwimmbagger den Sand, der sich dort im Lauf der Jahrtausende abgelagert hat und sozusagen kostenlos herumliegt, mit millionenschwerem technischem Equipment. Die kleinsten der schwimmenden Sandfabriken holen täglich einige Tausend Kubikmeter Meersand ans Tageslicht, die grössten schaffen mit ihren Saugarmen und Pumpen pro Tag bis zu einer halben Million Kubikmeter des Meeresbodens nach oben.

Trotzdem übersteigt die weltweite Nachfrage nach Sand das Angebot bei Weitem. Überall wird immer mehr Sand gebraucht, ob als Träger seltener und wertvoller Mineralien oder als Bausand im klassischen Sinne. Und obwohl jeder Sand vom Meeresboden holen kann, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen, kosten Abbau, Lagerung und Transport des Rohstoffs Unsummen, weil sie schweres Gerät, Arbeitskraft und Energie in gewaltigen Mengen erfordern.

Rund 70 Milliarden Dollar werden im internationalen Sandhandel jährlich umgesetzt. Zu den grössten Exporteuren gehören Australien, das Sand vor allem auf die arabische Halbinsel exportiert, und Indonesien, das sein Nachbarland Singapur mit ungeheuren Mengen Bausand von seinen Küsten beliefert hat.


Die Statistik zeigt den Umsatz der Branche Herstellung von Erzeugnissen aus Beton, Zement und Gips in der Schweiz. (Quelle: © Statista)

Indonesien und Singapur bieten Beispiele für den Handel mit Bausand

Am Beispiel Indonesiens sieht man besonders gut, dass auch Sand keine unendliche Ressource ist und welche Folgen der masslose Sandabbau haben kann. Der Inselstaat hat durch die Ausbeutung seiner Sandreserven bereits 25 seiner Inseln eingebüsst – sie sind einfach von der Landkarte verschwunden. Die immer tiefer werdenden Gruben auf dem Meeresboden, wo der Bausand gefördert wurde, haben dazu geführt, dass das gesamte Land in Bewegung geriet und kleinere Eilande beim langsamen Nachrutschen im Meer versanken.

Beim Mobilisieren und Hochpumpen von Meersand saugen die Arme der schwimmenden Sandfabriken nicht nur Sand und Wasser an, sondern töten alles, was in ihren Sog gerät – Fische, Pflanzen und zahllose Lebewesen, die sich am Meeresgrund ihre Lebensräume eingerichtet haben – teilweise schon vor Millionen von Jahren. Die Fischbestände Indonesiens, eine der Lebensgrundlagen des Landes, wurden durch den Sandabbau massiv dezimiert, was zur Verarmung ganzer Dörfer und Regionen geführt hat.

Als immer deutlicher erkennbar wurde, welche Schäden der ungebremste Sandabbau anrichten kann, stiegen etliche Abbauländer, darunter neben Indonesien auch Vietnam, Malaysia und Kambodscha, aus dem Sandhandel im grossen Stil aus. Das bedeutete in der Praxis, keinen Bausand mehr an Singapur zu liefern – denn in diesem Stadtstaat, der wegen seiner Schönheit auch den Beinamen „asiatische Schweiz“ trägt, wird gerade so viel gebaut wie noch nie zuvor. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts hat sich die Bevölkerung nahezu verdoppelt, weshalb der Metropole mittlerweile der Kollaps droht.

Die Insel Singapur ist klein und dicht besiedelt. Es gibt kein unbebautes oder unerschlossenes Hinterland, das Raum für Expansion, vor allem Expansion der City, bieten könnte. Wenn die asiatische Schweiz wachsen will, muss sie also ins Meer hineinwachsen – durch Aufschütten von Bausand zur Landgewinnung. Das wird in Singapur bereits seit Jahrzehnten gemacht: Seit den 1970er-Jahren ist die Landfläche dadurch um 20 % gewachsen, eine Vergrösserung um weitere 100 Quadratkilometer soll bis zum Jahr 2030 realisiert werden.

Die eigenen Sandreserven sind längst aufgebraucht, doch Singapur muss weiterwachsen. Seit die Nachbarländer dem sandgierigen Inselstaat keinen Bausand mehr verkaufen wollen oder können und die Bauprojekte trotzdem weitergehen, gerät Singapur immer häufiger in den Verdacht, den benötigten Sand illegal zu importieren.

Sandschmuggler bedienen sich dazu in der Regel riesenhafter Frachtkähne, die sehr tief im Wasser liegen und so auf den ersten Blick viel weniger beladen aussehen, als sie wirklich sind. Der Staat drückt beim Thema Sandschmuggel beide Augen zu, da die wirtschaftliche Existenz Singapurs direkt vom Sandimport abhängig ist. Viele der ehrgeizigen Bauvorhaben der „asiatischen Schweiz“ werden vom Staat gefördert. Die Politik und die Bauwirtschaft arbeiten Hand in Hand, und die alarmierten Umweltschützer, Ökologen und Biologen sind angesichts der Verzweigtheit, Tragweite und scheinbaren Aussichtslosigkeit der Situation weitgehend machtlos.


Ein Grossteil der Sandnachfrage wird durch Gewinnung von Bausand am Meeresgrund gedeckt. (Bild: Paul Brennan – shutterstock.com)

Auf Sand: die künstlichen Inseln von Dubai

Das Transportieren und Anlagern von Sand zur Landgewinnung geschieht auch ohne Hilfe des Menschen seit undenklichen Zeiten. Wind, Wasser, Ebbe, Flut und Meeresströmungen tragen den Sand von einer Küste zur anderen. Der Mensch ist damit allerdings nicht immer einverstanden – so beklagen die Bewohner mancher Nordseeinseln seit Jahren das stetige Verschwinden ihrer Küsten, und bei anderen wird der Strand immer breiter. Ein schönes Beispiel ist die schrumpfende deutsche Insel Sylt: Der Sand, der dort weggespült wird, lagert sich an der Küste der dänischen Insel Rømø an.

Durch gezielte Sandaufschüttung und Landgewinnung entstehen Siedlungen, wo vorher nur das Meer oder bestenfalls schmale Sandbänke zu sehen waren. Zu den berühmtesten künstlichen Inseln der Welt zählt „The Palm“ in Dubai, mehrere durch Aufschüttung von Bausand erzeugte Inseln, die aus der Luft wie eine riesige Palme aussehen.

Als das Landgewinnungsprojekt der Superlative im Jahr 2001 begonnen wurde, hatten die Grundstückspreise in Dubai schwindelerregende Höhen erreicht und stiegen immer weiter. Grund dafür war jedoch nicht, dass Land in Dubai knapp geworden wäre: Schuld an der überzogenen Teuerung waren die Manöver und Machenschaften cleverer Immobilienspekulanten.


Die künstlichen Inseln von Dubai – NASA-Aufnahme (Bild: Wikimedia, public domain)

Ein Wüstenland hat keinen Bausand mehr

„The Palm“ war noch nicht fertig und erst zum Teil bewohnt, als die Scheichs und ihre internationalen Baupartner bereits mit der Planung und dem Bau einer zweiten solchen Palme und weiterer künstlicher Inseln begannen. Wie die Gehirnkapriole eines exzentrischen Filmprofessors mutet das Bauvorhaben „The World“ an: Ganz in der Nähe der Palme ist eine Inselgruppe entstanden, deren einzelne Inseln die Kontinente der Welt im Kleinen nachbilden.

Geplant war „The World“ vor allem als Spielwiese und exklusiver Aufenthaltsort für reiche Touristen und Geschäftsreisende. Unternehmer aus aller Welt hatten sich dort bereits angemeldet oder eingekauft, um in der luxuriösen Modellwelt ihr Land zu repräsentieren und sich ein Stück vom erwarteten Gewinnkuchen zu sichern. Doch dann zeichnete sich immer deutlicher ein Sachverhalt ab, der in einem Wüstenland wie Dubai fast unglaublich anmutet: Der verfügbare Bausand reicht für die geplante Landgewinnung und Ausgestaltung der Kunstinseln nicht aus.

Vor der Küste Dubais gab es grosse Meersandreserven, die aber mittlerweile erschöpft sind: Die jahrzehntelange, konstante Bauwut des Emirats, das einst ein Fischerdorf war, hat dazu geführt, dass im Meer kein Sand mehr übrig ist. Die naheliegende Idee, sich den benötigten Sand einfach aus der Wüste zu holen, liess sich nicht umsetzen, denn Wüstensand gibt keinen guten Bausand ab: Seine Körnchen sind zu ebenmässig rund und haben eine zu glatte Oberfläche, weil sie ständig vom Wind umher geweht, gegeneinander bewegt und aneinander gerieben werden.

Der glatte Wüstensand haftet viel schlechter aneinander und an anderen Baumaterialien als Bausand vom Meeresboden mit seinen unregelmässiger geformten, raueren und scharfkantigeren Körnern. Wer bauen will und eine Wüste hat, ist also nicht so reich, wie man glauben sollte. Darum kann Dubai heute als sandarmes Land gelten, und die Sandkrise des Emirats hat auch in der Medienwelt für einigen Rummel gesorgt.

Viele ehrgeizige Bauvorhaben, darunter die zweite Palme und auch „The World“, brennen heute quasi auf Sparflamme oder sind nahezu zum Stillstand gekommen. Unternehmer warten auf die Einlösung oder Auflösung ihrer Verträge, auf neue Sponsoren und auf einen Erfolg versprechenden Plan B, während die halbfertigen und halbleeren künstlichen Inseln dem Luftbild der Touristenhochburg eine ganz besondere Tragikomik hinzugefügt haben.

Mit Sand aufgeschüttet: Miami Beach

Miami Beach ist berühmt für die Strände, die dem Ort seinen Namen gaben. Um die zu erhalten, werden sie regelmässig mit neuem Sand aufgefüllt, den ein Schwimmbagger vom Meeresgrund vor der Küste an Land pumpt. Mit dem Sand gelangen auch die angesaugten und getöteten Meereslebewesen an die Traumstrände, und die Mischung begräbt wiederum zahllose kleine Strandbewohner wie Krebse oder Würmer unter sich und kostet sie das Leben.

Zu allem Überfluss ist der gesamte Aufwand für die Sandaufschüttung und Landgewinnung nie von dauerhafter Wirkung, sondern immer nur ein Spiel auf Zeit. Der Mensch kann dem Meer niemals dauerhaft seinen Willen aufzwingen oder es in einem Kampf besiegen. Denn das Meer hat viel mehr Zeit und einen viel längeren Atem.

Mit ständigem Kontrollieren und Befestigen, Nachfördern und Nachschütten muss der Mensch sein ertrotztes Neuland verteidigen. Lässt er in seinen Bemühungen nach, holt sich das Meer seine Gebiete zurück: Nach einem bis drei Jahren hat es den aufgeschütteten Bausand wieder abgetragen – wo es ihn nicht selbst hingeschwemmt hat, lässt es ihn auch nicht festwachsen. Staumauern und Deiche helfen auf Dauer ebenfalls nicht wie gewünscht, da sie langfristig zu neuen Umweltproblemen führen und sehr wartungsintensiv sind.

Dass Miami Beach auf Sand und ausserdem viel zu nah am Wasser gebaut ist, wissen die Stadtplaner und Verantwortlichen in der Politik schon lange. Aber das Umkehren gehört generell nicht zu den grossen Stärken der modernen Menschheit: Was einmal angefangen wird, schafft schon in kurzer Zeit neue Situationen und eine neue Realität, mit der man umgehen muss. Für Miami Beach gibt es kein Zurück, denn mehr als die Hälfte der Wirtschaft des Sunshine State hängt von der Touristik ab. Florida lebt vom Sand seiner Strände. Wenn keine Touristen mehr kommen bzw. wenn sie keinen Platz am Strand mehr finden, bricht die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts weg, und für zahllose Menschen würde das den Verlust ihrer Arbeit oder das Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz bedeuten.


Mit Sand aufgeschüttet: Miami Beach (Bild: f11photo – shutterstock.com)

Die Sandmafia schwächt den Subkontinent Indien

Indien gehört zu den boomenden Schwellenländern. Die Wirtschaft wächst, Metropolen wie Mumbai florieren, und immer mehr Menschen ziehen in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus den ländlichen Regionen in die Städte. Dort werden, um dem Zustrom von Menschen auch nur annähernd gerecht zu werden, immer mehr und immer grössere Gebäude errichtet, weshalb der Sandverbrauch in Indien in den letzten Jahren enorm gestiegen ist.

Wer in das Geschäft mit dem begehrten Bausand einsteigt, darf mit fantastischen Gewinnen rechnen. Um im Sandhandel Einfluss zu gewinnen, schnell aufzusteigen und den Weg nach ganz oben abzukürzen, schrecken viele auch vor kriminellen Machenschaften nicht zurück. So hat sich in Indien eine mächtige Organisation gebildet, die aufgrund ihrer undurchsichtigen, illegalen und verbrecherischen Methoden als Sandmafia bezeichnet wird.

Entlang der indischen Küste gibt es Tausende illegale Abbaustellen, an denen die Sandmafia Bausand für die City fördert. Ihr Einfluss ist mittlerweile so gross geworden, dass sie die Stadtverwaltung von Mumbai fest im Griff hat und die meisten Bauprojekte in der Metropole unter ihrer Kontrolle ablaufen. Wie in Singapur und vielen anderen Regionen der Welt sehen Politiker und die Mächtigen aus Wirtschaft und Industrie meist tatenlos zu, denn der Bausand muss ja schliesslich irgendwo herkommen – grundsätzlich werden die jeweiligen Bauvorhaben und Expansionspläne als alternativlos angesehen.

Der Sandschmuggel und der illegale Abbau von Sand haben weitreichende ökologische, politische und geografische Konsequenzen. Durch den massenhaften Sandverbrauch verändert die Menschheit ihre Weltkarte viel rascher, als es die Plattentektonik, die ja nicht gerade für ihre schnellen Reaktionen bekannt ist, vorgesehen hat. Vor allem an den Stränden Asiens, Afrikas und der Karibik verschwinden täglich Unmengen von Sand. Sie bleiben zwar auf diesem Planeten, doch von der Ruhe der naturgegebenen Erd- und Gesteinsbewegung müssen sie sich verabschieden – ein Glück, dass Sandkörner keine Gefühle haben.

Der Kampf um den Sand frisst die Strände

Der französische Journalist und Regisseur Denis Delastrac hat mit „Sand Wars“ im Jahr 2013 einen beeindruckenden Dokumentarfilm über den weltweiten Abbau von Bausand, den Sandhandel und -schmuggel sowie deren Konsequenzen geschaffen. Mit seinem Filmteam besuchte er viele Orte, für die das Sandgeschäft dramatische Konsequenzen hat, und dokumentierte die zunehmende Zerstörung von Stränden und Küsten durch den immensen Sandbedarf der Menschheit.

„Sand Wars“ ist ein erschreckender Ökothriller geworden und wegen der Brisanz und weitgehenden Unbekanntheit dieses Themas unbedingt sehenswert. Delastrac zeigt unter anderem, wie Sand an Marokkos Stränden von unterbezahlten und unausgebildeten Arbeitern in Körbe geschaufelt und dann auf dem Rücken von Lasteseln abtransportiert wird. Den illegal erbeuteten Bausand verkaufen sie dann zu geringen Preisen an Baulöwen, die damit jede Menge Geld verdienen können. Was bei diesen Geschäftspraktiken mit der Landschaft passiert, ist ihnen egal, und die Arbeiter können sich wegen ihrer Armut keine moralischen Zweifel leisten.

Als der Film gedreht wurde, war bereits knapp die Hälfte des Strandsandes auf diese Weise gestohlen worden. Zum Abbau am Meeresboden fehlen den Leuten nicht nur die Qualifikation und die Genehmigung, sondern auch die finanziellen Mittel, um die teure Ausrüstung zu bezahlen: Wie bereits weiter oben erwähnt, kostet es Millionen, effektiv ins Geschäft mit den schwimmenden Baggern und Saugpumpen einzusteigen.

In Marokko ist die ökologische Katastrophe umso grösser, weil der vom Strand gestohlene Sand erst gereinigt und aufbereitet werden muss, um zu gutem Bausand und folglich auch gutem Beton zu werden. Wenn das Meersalz nicht durch gründliche Spülungen mit Süsswasser entfernt wird, bleibt es an den Körnchen haften und wird zusammen mit dem Sand verbaut. Salz hat jedoch stark zersetzende Eigenschaften: Salzhaltiger Beton bzw. Stahlbeton zieht Feuchtigkeit förmlich an und ist viel anfälliger für Korrosion. Aus gestohlenem, nicht richtig gereinigtem Sand entstehen einsturzgefährdete Gebäude, die im schlimmsten Fall Menschen das Leben kosten können.

In seinem Film „Sand Wars“ zeichnet Delastrac ein düsteres Bild von der Zukunft der Strände. Glaubt man den Prognosen, wird vor allem der illegale, aber auch der legale Sandabbau in Flussbetten, an Meeresstränden und auf dem Meeresboden nach und nach dazu führen, dass es auf der Erde keine Strände im heutigen Sinne mehr gibt. Ihr Verschwinden ist bereits jetzt deutlich zu sehen – und es ist keineswegs auf die Abbaugebiete begrenzt, sondern umfasst auch Gegenden, in denen überhaupt kein Bausand abgebaut wird.



Auswirkungen des brutalen Sandabbaus

In der Natur gibt es keine Belohnungen oder Strafen, sondern lediglich Konsequenzen. Und es gibt Kettenreaktionen, deren Ablauf sich selbst mit den besten Computern nicht vorhersehen oder gar präzise voraussagen lässt.

Natur- und Chaosforscher reden manchmal vom Schmetterlingseffekt, um zu verdeutlichen, dass schon kleinste Abweichungen oder Ereignisse, vergleichbar dem Flügelschlag eines Schmetterlings, lange und unvorhersehbare Ereignisketten in Gang setzen und zu Ergebnissen von ungeahnten Dimensionen führen können. Der Schneeballeffekt ist eine weitere griffige Bezeichnung – das Bild soll verdeutlichen, wie Kettenreaktionen die Wirkung kleiner Auslöser exponentiell steigern bzw. in kurzer Zeit enorm verstärken können.

Durch seine Recherchen zur „Sand Wars“-Doku und Interviews mit Forschern und Umweltaktivisten kommt Delastrac zu einem dramatischen Ergebnis: Schätzungsweise 75 bis 90 % aller weltweiten Strände bilden sich nachweisbar zurück und sind vom Verschwinden bedroht.

Zwar hat der Strandschwund auch heute noch natürliche Ursachen in der konstanten Erosion der Küsten durch Wind und Wasser. Doch der Mensch mit seinem ungeheuerlichen Bedarf an Bausand und neuen Gebäuden hat diesen Vorgang extrem verstärkt und dessen Auswirkungen vervielfacht. So beraubt er seine Strände nicht nur ihres Sandes, sondern verbaut ihren Raum auch auf der anderen Seite.

Es mutet fast wie eine Ironie des Schicksals an, dass Millionen Tonnen von Bausand in Form von Ferienhäusern, Hafenmauern, Hotel- und Sportanlagen, Freizeitzentren, neuen Küstenstrassen und Parkplätzen an die Strände zurückkehren. Der so veränderte, vom Menschen umgestaltete Strand sieht nicht nur anders aus als vorher, sondern kann auch seine ursprünglichen Funktionen nicht mehr erfüllen, etwa das Auffangen der Brandung und das Zusammenhalten des Landes.

Auch der Feriensand wird immer wichtiger

Sand, Sonne und Erholung – das gehört für viele Menschen zu einer gelungenen Ferienreise. Auch das ist eine eher neue Entwicklung: Früher bedeutete der Aufenthalt an der Küste vor allem raues Wetter, harte Arbeit, Einsamkeit und vielerlei Gefahr. Heute assoziiert vor allem der wohlhabendere Teil der Menschheit damit ein entspanntes, fröhliches und gesundes Lebensgefühl – perfekt für die schönste Zeit des Jahres, in der man Kraft tanken und die Batterien von Körper und Geist wieder aufladen will.

Immer mehr Menschen, die sich das leisten können, verlegen ihren Wohnsitz an die Küste oder schaffen sich ein Zweitdomizil am Meer an. Die aufregendsten und attraktivsten Metropolen der Welt liegen an den Küsten der grossen Meere, und nahezu jedes Land hat ein Interesse daran, seine Strände zu vergrössern und grosse Sandflächen als Erholungslandschaften für Einheimische und Touristen zu schaffen.

Als Ferien- und Reisesand im weiteren Sinne muss auch der Sand bezeichnet werden, der in grossen Mengen in Flugzeugen und Schiffen verbaut ist. Sand macht auch einen grossen Teil der Materialien aus, aus denen neue Flughäfen oder Seehäfen mit Brücken, Lagerräumen, Kontrolltürmen, Landebahnen, Zufahrtswegen und vielem mehr konstruiert werden.

Ein schwieriger Weg, den ein modernes Sandkorn zurücklegt

Sand entsteht nicht hauptsächlich im Meer, wie viele denken, sondern im Gebirge. Dort verwittern Felsen, etwa aus Sandstein oder Granit, durch die stetige Einwirkung von Regen und Wind, Schnee und Eis. Gebirgsbäche und später grössere Flüsse tragen Steine und Sandkörner aus dem Gebirge heraus in Richtung Meer.

Die Wanderung eines Sandkorns vom Berg an den Strand kann Jahrtausende dauern. Auch hier hat es der Mensch der Natur nicht leichter gemacht und die Sandwege mit Wehren, Schleusen, Kanälen, Staudämmen und Landschaftsformungen aller Art verbaut. Die Errichtung von Staudämmen für Wasserkraftwerke wird massiv vorangetrieben, da die weltweite Nachfrage nach Energie ebenfalls immer weiter steigt.

Beobachtungen und Hochrechnungen mit Blick auf aktuelle und geplante Bauvorhaben zeigen, dass in fünf bis zehn Jahren voraussichtlich kein Wasserlauf der Welt mehr ungehindert das Meer erreichen wird. Und ein Sandkorn, das bereits mehrere Dämme passiert hat, kann auf seinem Weg immer noch von einem Bagger aus irgendeinem Flussbett geholt werden. Dann wird es niemals das Meer sehen, zu dessen Küste es vor Jahrhunderten aufgebrochen war, und nie den Sonnenuntergang im Kreis seiner entfernten Verwandten am Strand erleben – zum Glück sind Sandkörner nicht nachtragend.

Müssen Heimwerker Bausand mit schlechtem Gewissen kaufen?

Nach einer solchen Menge globaler Informationen und Ausblicke muss auch noch Raum übrig sein für die Belange des Normalverbrauchers. Der trägt natürlich auch aktiv zum steigenden Sandverbrauch der Menschheit bei, wenn er im Baumarkt oder lokalen Baustoffhandel einen Sack Bausand oder Spielsand für den Sandkasten der Kinder oder das Anlegen einer Gartenterrasse kauft. Doch im Vergleich zu gigantischen Bauprojekten wie der Dubai-Palme oder einem neuen Skyscraper in Tokio ist sein Anteil am Raubbau der Sandreserven verschwindend gering – ebenso könnte er ins Meer spucken, um das Ansteigen der Wasserlinie durch den Klimawandel zu beschleunigen.

Trotzdem ist neues Wissen nie umsonst. Eins der Hauptprobleme beim internationalen Kampf um die Sandburgen ist die eingangs erwähnte schlechte Information der Öffentlichkeit. Damit sich an den schädlichen Praktiken langfristig etwas ändern kann, ist es wünschenswert, dass mehr Menschen überhaupt darüber Bescheid wissen. Wer ein Problem nicht mit sich selbst und seinem persönlichen Umfeld in Bezug setzen kann, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch keinen Handlungsbedarf empfinden.

Wer direkt in seiner Nähe mehr über den Sandhandel erfahren will, kann damit im örtlichen Baustoffhandel anfangen. Jeder Baustoffkunde, ob Privatmann oder Unternehmer, sollte vom Etikett ablesen oder beim Verkäufer erfragen können, woher der Spiel-, Aquarien- oder Bausand in diesem Sack stammt. Es kann sehr interessant sein, über die erhaltene Antwort ein wenig nachzudenken, während man den Sand zu seiner neuen Wirkungsstätte transportiert – in den Betrieb oder zu sich nach Hause.



Fazit

Für den normalen Bauherrn, Heimwerker oder Hobbygärtner ist und bleibt Sand ein umwelt- und benutzerfreundliches Baumaterial. Ein gesteigertes Bewusstsein für die Vorgänge, Folgen und vor allem Grenzen der Sandgewinnung kann jedoch den Blick auf ganz alltägliche Produkte schärfen und langfristig im Kleinen wie im Grossen zu einem verantwortlicheren Umgang mit wertvollen Ressourcen führen.

 

Oberstes Bild: © Dmitry Kalinovsky – shutterstock.com

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Mehr zu Christine Praetorius

Christine Praetorius, Jahrgang 1971, spricht und schreibt über Neues, Altes, Schönes und Kurioses. Ich liebe Sprache und Musik als die grössten von Menschen für Menschen gemachten Freuden – und bleibe gerne länger wach, um ihnen noch etwas hinzuzufügen. Seit 2012 arbeite ich mit meinem Mann Christian als freie Texterin, Autorin und Lektorin.

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