Millionenmetropole im Umbruch – Baku am Kaspischen Meer

Baku, die Hauptstadt von Aserbaidschan, ist hierzulande nicht allzu oft in den Schlagzeilen zu finden. Das grösste Aufsehen in den letzten Jahren erregte die Metropole bei uns als Austragungsort des Eurovision Song Contest 2012. Dabei hat die Stadt am Kaspischen Meer Besuchern wesentlich mehr zu bieten.

Sie gehört zu den dynamischsten urbanen Zentren im Umfeld des Kaukasus. Ihre Lage an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, zwischen der islamischen und der christlichen Welt, zwischen Europa und Asien prädestiniert sie geradezu als Schmelztiegel unterschiedlicher Völker und Kulturen.

Eine Stadt und ein Land leben vom Öl

Heute leben mehr als zwei Millionen Menschen in der weitflächigen Hauptstadt Aserbaidschans. Das ist mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des kleinen Landes, das 1991 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangte. Wie in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken war dieser Weg auch in Aserbaidschan mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Nach wie vor besteht ein ungelöster Konflikt mit dem Nachbarn Armenien um die Exklave Berg-Karabach. Im Inneren wirken Korruption, Vetternwirtschaft und undemokratische Strukturen hemmend. Den Status einer stabilen Demokratie nach unserem Verständnis hat das Land noch längst nicht erreicht. Immerhin ist ein Weg dahin erkennbar, und auch um Berg-Karabach ist es ruhiger geworden.

Dass die Anpassungen hier leichter vorangingen und mit weniger Umbrüchen verbunden sind als in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, hat das Land vor allem einem „Schmiermittel“ zu verdanken, dem Öl. In der Rangfolge der Ölförderstaaten ist Aserbaidschan zwar nicht auf den vorderen Plätzen zu finden, für die heimische Wirtschaft hat der fossile Rohstoff aber nicht erst heute überragende Bedeutung. Mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes hängen mit der Ölförderung zusammen. Ohne das Öl wäre auch der Aufstieg Bakus zu einer modernen Millionenmetropole kaum denkbar gewesen.


Mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes von Aserbaidschan hängen mit der Ölförderung zusammen. (Bild: Gulustan / Shutterstock.com)

Multikulturelle Metropole der Zarenzeit

Dabei ist Baku eine uralte Stadt. Die Bucht auf der Halbinsel Abşeron, die wie eine Hakennase in das westliche Kaspische Meer hineinragt, wurde bereits in der Vorzeit als Siedlungsort bevorzugt. Älteste archäologische Spuren weisen auf die Zeit um 8000 v. Chr. hin. Die Region stand dabei spätestens seit der Antike fast immer unter dem Einfluss mächtigerer Nachbarn. Römer, Parther, Armenier, Georgier, Perser, Araber, Seldschuken, Mongolen und zuletzt Russen übten hier die Herrschaft aus – mal direkt, mal indirekt über lokale Vasallen.

Eine erste Glanzzeit erlebte Baku unter der Herrschaft der Schirwanschahs. Dabei handelte es sich um eine regionale muslimische Dynastie, die im Mittelalter den Kleinstaat Schirwan im heutigen Aserbaidschan regierte. Im 12. Jahrhundert verlegten die Herrscher ihre Residenz nach Baku, das damit erstmals zur Hauptstadt wurde. Marco Polo erwähnt die Stadt als wichtigen Handelsstützpunkt an der Seidenstrasse.

Einen richtigen Boom erlebte Baku aber erst mit dem Beginn der systematischen Ölförderung im 19. Jahrhundert unter der Ägide der russischen Zaren. Dass es hier Öl gibt, war schon lange vorher bekannt. Bereits in der Antike wurden die natürlich sprudelnden Ölquellen um Baku für die Brennstoffbeschaffung zur Tempelbeleuchtung genutzt. Auch im Mittelalter wurde mit Öl gehandelt. Die Industrialisierung mit ihrem wachsenden Bedarf an Öl brachte dann den entscheidenden Schub.

Kaum zu glauben – um 1900 fand in und um Baku fast die Hälfte der weltweiten Erdölförderung statt. In dieser Zeit verzeichnete die Stadt ein enormes Wachstum und wurde zu einer multikulturellen Metropole. Russen, Georgier, Juden und Ukrainer drängten damals sogar die einheimischen Aserbaidschaner in die Minderheit. Die Zeit der Prosperität endete mit der Oktoberrevolution. Zwar blieb Baku auch im Kommunismus ein Ölzentrum, aber der Glanz verblasste. Erst nach der Unabhängigkeit knüpfte man wieder daran an.


Altstadt von Baku (Bild: Khortan, Wikimedia, CC)

UNESCO-Weltkulturerbe: die Altstadt

Dem Besucher präsentiert sich die Stadt heute mit ganz unterschiedlichen Facetten und Erscheinungsbildern. Da ist zum einen die historische Altstadt. Hier zeigt sich Baku noch so, wie es über Jahrhunderte bis zum Ölboom des 19. Jahrhunderts wirkte. Als ein typisch orientalischer, befestigter Ort, der als Residenz und Handelszentrum diente. Die meisten Häuser in den verwinkelten Gassen stammen aus der Zeit nach der russischen Eroberung im 18. Jahrhundert. Die Baudenkmäler und die Mauern der teilweise noch erhaltenen Stadtbefestigung sind wesentlich älter.

Das Herz der Altstadt bildet der Palast der Schirwanschahs, ein herrschaftlicher Komplex mit Wohn-, Funktions- und Repräsentationsbauten. Auch Moscheen, Mausoleen und Grabmäler sind darunter. Das Wahrzeichen ist der sogenannte Jungfrauenturm, der ebenfalls Teil des Palastkomplexes ist. Im historischen Zentrum gibt es noch etliche weitere Moscheen, ehemalige Medressen, Karawansereien und andere historische Sehenswürdigkeiten. Seit 2000 bildet der Palast zusammen mit der Altstadt einen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.


Das Aserbaidschanische Staatliche Akademische Opern- und Balletthaus Opernhaus von Baku (Bild: Samir Rəsulov, Wikimedia, CC)

Ölbarone und Gründerzeit-Architektur

Um das historische Zentrum herum wird Baku von zahlreichen Baudenkmälern aus der Gründerzeit geprägt. Die Ölbarone errichteten hier einst vornehme Stadtresidenzen, Wohn- und Geschäftshäuser. Dem Geschmack des 19. Jahrhunderts entsprechend griff man dabei im Geiste des Historismus gerne auf historische Baustile zurück. Neogotik, Neorenaissance, Neobarock – Beispiele dafür gibt es reichlich in Baku, zum Beispiel entlang der zentralen Einkaufsmeile, der Nizami-Strasse. Dieser Zeit hat die Stadt auch einige eindrucksvolle Kirchenbauten zu verdanken wie zum Beispiel die russisch-orthodoxe Kirche. Die Staatliche Aserbaidschanische Philharmonie ist ebenfalls ein typisches Bauwerk des Historismus. In manchen Strassenzügen Bakus fühlt man sich daher eher in eine mitteleuropäische Grossstadt versetzt als ans Kaspische Meer.

Flame Towers – Wahrzeichen des Aufbruchs

Eine dritte städtebauliche Komponente bilden die baulichen Zeugnisse der kommunistischen Ära und der Zeit danach. Die Sowjet-Epoche hat in Baku alle typischen Stilrichtungen vom stalinistischen Zuckerbäckerstil bis zum Plattenbau hinterlassen. Viele Hochhäuser sind darunter. Der ästhetische Genuss ist nicht immer ungetrübt. Seit der Unabhängigkeit bemüht man sich verstärkt, der Stadt mit futuristischen Wolkenkratzern und bewusst repräsentativer Gestaltung ein neues Gesicht zu geben. Glitzernde Hochhausfassaden prägen zunehmend die Silhouette. Sie künden auch vom neuen Ölreichtum Aserbaidschans. Wahrzeichen der Moderne in der Hauptstadt sind der mehr als 300 Meter hohe Fernsehturm Azeri und die drei an Feuerzungen erinnernden „Flame Towers“ – besonders eindrucksvoll, wenn sie nachts erleuchtet sind.


Flame Towers – Wahrzeichen von Baku (Bild: Urek Meniashvili, Wikimedia, CC)

Kulturell hat Baku mehr zu bieten als prämierte Beiträge zum Eurovision Song Contest. Die Stadt ist für ihr vielfältiges und buntes Kulturleben bekannt. Kleinkunst, Theater, Oper, Operette, Ballett oder Musical – die Bühnen Bakus verfügen über ein breites nationales und internationales Repertoire auf hohem Niveau, das kaum Wünsche offen lässt. Manches Haus kann dabei durchaus an Traditionen aus der Zarenzeit anknüpfen, als das Kulturleben schon einmal reich blühte. Internationales Renommee geniesst die Stadt auch für ihr Nachtleben. Es gibt zahlreiche Klubs, Cafés, Bars und Restaurants – eine Konzentration, die man so hier gar nicht vermuten würde. Baku soll bei den Metropolen mit dem besten Nachtleben weltweit unter den Top Ten sein.



Bei einer Städtereise haben Sie die Möglichkeit, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Baku ist eine Stadt der Kontraste. Tradition und Moderne, alter Orient, Gründerzeit und neuer Aufbruch treffen hier unvermittelt aufeinander. Das macht die Dynamik und die besondere Faszination der Metropole am Kaspischen Meer aus. Langeweile kann hier nicht aufkommen.

 

Oberstes Bild: © İhsan Deniz Kılıçoğlu, Wikimedia, CC

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem grossen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

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