Weihnachtswelt: Bei allen vorbei, bei uns vor der Tür oder Weihnachten auf Russisch

Während das weihnachtliche Prozedere im Westen relativ einheitlich und überschaubar ist, sind die winterlichen Feiertage in Russland ein buntes Mischmasch aus alten und neuen Traditionen. So verschmolzen im Laufe der Jahrhunderte die alten heidnischen, später die orthodoxen, dann die durch die sowjetische Herrschaft mutierten und letztendlich die neuen, durch die westliche Kultur entstandenen Bräuche zu einer bunten Collage der Neujahrsfeiertage, wie man diese Zeit auf Russisch oft nennt.

Wer Ende des Jahres in Russland unterwegs ist, wird auf jeden Fall im Verstehen russischer Mentalität entweder viel weiter oder komplett durcheinander kommen. Zum einen. Zum anderen werden die russischen Feiertage für die aktiven Mitmacher zu einer schweren Belastungsprobe sowohl für den Magen als auch für die Leber.

Die erste Unstimmigkeit fängt schon bei den Daten an. Weihnachten am 24. Dezember ist nur eine der Nachrichten der Tagesschau im Fernsehen. Obwohl Weihnachts- oder auf Russisch richtiger gesagt Neujahrsstimmung schon seit Anfang Dezember auf den Strassen, zu Hause und am Arbeitsplatz herrscht, fangen die Feiertage erst am 31. Dezember an, wenn Silvester (auf Russisch: Neujahr) gefeiert wird. Heiligabend ist erst am 6. und der Weihnachtstag dementsprechend am 7. Januar.Der Unterschied ist wesentlich und hat wieder einmal mit der Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert zu tun. Noch bis zur Oktoberrevolution benutzte man in Russland den julianischen Kalender sowohl im religiösen als auch im zivilen Leben. Eine Bemerkung am Rande: in Russland ist die erste komplette Bibelübersetzung auf Russisch erst 1876 erschienen – und diese auch nur für den häuslichen Gebrauch. Bis dahin benutzte man die Heilige Schrift auf Altkirchenslawisch, das, im Übrigen, bis heute im orthodoxen Gottesdienst die Liturgiesprache ist.

Wenn die Kirche fast ein Jahrhundert gebraucht hat, um sich an die Idee einer verständlichen Bibelübersetzung für alle zu gewöhnen, dann ist klar, dass der Übergang vom alten julianischen Kalender zum neuen gregorianischen ein Ding der Unmöglichkeit war, so genau dieser auch sein mag. Dazu kam noch, dass es die junge sowjetische Macht war, die den neuen Kalender eingeführt hat – fast gleichzeitig mit dem Verbot der Religion.

Viele Geistliche sind in den religiösen Untergrund gegangen und haben natürlich sowohl das Altslawische im Gottesdienst als auch den julianischen Kalender für die Berechnung aller kirchlichen Feiertage streng beibehalten. So kam es dazu, dass die orthodoxe Kirche bis heute Weihnachten auch am 25. Dezember feiert, bloss nach der alten Zeitrechnung – an dem Tag, der dem 7. Januar nach dem gregorianischen Kalender entspricht.


Weihnachtsgottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau (Bild: Alexej Filippow, RIA Novosti archive, image #1011996 / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia, CC)


Erst seit 1991 ist Weihnachten wieder ein offizieller Feiertag in Russland. Jedoch wäre die Übernahme vom „neuen“ Kalender seitens der Kirche und im Bewusstsein der breiten Bevölkerung heutzutage noch weniger möglich als vor der Oktoberrevolution. Dass die orthodoxen Christen Weihnachten an einem anderen Tag feiern als die ganze Welt, ist zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal der Orthodoxie (was auf Russisch wortwörtlich „Rechtgläubigkeit“ heisst) und zu einem Teil der Nationalidentität geworden. Viele Russen wissen auch selbst gar nicht oder nicht genau, woher die Diskrepanz kommt. Jedoch ist die Mehrheit überzeugt, dass die orthodoxe Tradition natürlich die richtige ist.

Weihnachtsfeier in Russland (Bild: RIA Novosti archive, image #143897 / Dmitry Korobeinikov / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia, CC )


Diese geschichtlichen Hintergründe führten dazu, dass das russische Weihnachten heute in erster Linie ein religiöses Fest ist. Weder Geschenke noch Weihnachtsbaum stehen im Mittelpunkt der Feierlichkeiten. Es ist das zweitgrösste Fest im orthodoxen kirchlichen Kalender nach Ostern. Vierzig Tage vor Weihnachten fängt die strenge Weihnachtsfastenzeit an.

Während der orthodoxen Fastenzeit sind generell Fleisch, Eier und Milchprodukte verboten. An manchen Tagen darf man Fisch essen und an manchen nicht mal Pflanzenöl zu sich nehmen. Interessant ist, dass es Tage gibt, an denen Wein erlaubt ist. Ansonsten sind die Wochentage und an ihnen erlaubte Lebensmittel streng reglementiert. Die Fastenzeit wird gehalten zum Gedenken an die Geburt des Heilands, auf deren Feier sowohl der Körper als auch die Seele durch Reinigung und Enthaltsamkeit vorbereitet werden müssen.

Da man die Neujahrsfeier dummerweise nach dem neuen gregorianischen Kalender feiert, und sie ohne reich gedeckten Tisch undenkbar ist, halten sich an die Weihnachtsfastenzeit nur Mönche, Geistliche und Strenggläubige. Der Rest lässt sich gut gehen und wenn man nach der Silvester- und vor der Weihnachtsfeier mit Gott doch im Reinen sein will, dann geht man kurz vor Weihnachten zur Beichte und zum Brotbrechen und deckt schon reinen Gewissens den weihnachtlichen Festtisch.

 

Oberstes Bild: Koljada – alte russische Weihnachtstradition (Bild: Wladimir Lobatschjow. Wikimedia, CC)[vc_text_separator title=“Wo liegt dieses Reiseziel?“ title_align=“separator_align_center“][vc_gmaps type=“m“ zoom=“14″ link=“https://maps.google.com/maps?q=Rusia,+Mosc%C3%BA&hl=es&ie=UTF8&sll=37.0625,-95.677068&sspn=54.533615,79.013672&oq=mos&hnear=Mosc%C3%BA,+gorod+Moskva,+Rusia&t=m&z=10″ size=“350″]

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Ich schreibe, seit ich schreiben kann, und reise, seit ich den Reisepass besitze. Momentan lebe ich im sonnigen Spanien und arbeite in der Modebranche, was auch oft mit Reisen verbunden ist, worüber ich dann gerne auf den Portalen von belmedia.ch berichte. Der christliche Glaube ist das Fundament meines Lebens; harmonisches Familienleben, Kindererziehung, gute Freundschaften und Naturverbundenheit sind meine grössten Prioritäten; Reisen und fremde Kulturen erleben meine Leidenschaft; Backen und Naturkosmetik meine Hobbys und immer 5 Minuten zu spät kommen meine Schwäche.

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