Wo der Pfeffer wächst: Phu Quoc

Ich sitze zusammen mit einer Freundin am Strassenrand einer Schnellstrasse. Mein Kopf fühlt sich an, als würde in ihm ein Gewitter aufziehen und mein Ellenbogen tut bei jeder Bewegung weh.

Meine kompletten Arme und Beine sind von Schürfwunden übersät und wir lachen, halb aus Erleichterung, dass nicht mehr passiert ist, halb aus Verzweiflung.

Von Bangkok nach Saigon

Doch fangen wir von vorne an. Vor einer guten Woche sind wir in Bangkok gelandet, der Stadt mit dem längsten Namen der Welt, nämlich „Krung Thep Mahanakhon Amon Rattanakosin Mahinthara Ayuthaya Mahadilok Phop Noppharat Ratchathani Burirom Udomratchaniwet Mahasathan Amon Piman Awatan Sathit Sakkathattiya Witsanukam Prasit“, was zusammengefasst ungefähr „Stadt der Engel“ bedeutet. Kurzerhand haben wir uns entschieden zuerst einen Abstecher nach Vietnam zu machen. Also warteten wir ein paar Tage auf unser Visum, das uns ein Herr in einem Reisebüro besorgen wollte, zusammen mit den Buchungen unserer Flüge.


Die eigenwillige Farbe der Erde ist typisch für Phu Quoc. Bild: © Julia Schattauer / bezirzt.de)

Ho-Chi-Minh-City, das frühere Saigon, ist anders als Bangkok, es ist enger, chaotischer und dreckiger. Der Strassenverkehr raubt einem den letzten Nerv und die Überquerung eines Kreisels, wurde für uns fast zu einem unmöglichen Unterfangen. Glücklicherweise kam nach einiger Zeit ein alter Mann zu uns, nahm uns bei der Hand und führte uns schnurstracks und wohlbehalten mitten durch Autos, Busse und vor allem Roller. Nachdem wir uns drei Hostels angeschaut hatten, in dem wir auf keinen Fall bleiben wollten, entschieden wir uns für ein, für unsere Vorstellungen recht teures Zimmer in einem kleinen Hotel mitten im Backpackerviertel rund um die Pham Ngu Lao-Straße. Wir wollten ans Meer und entschieden uns spontan für einen Weiterflug auf eine kleine Insel im Süden. Mit der Propellermaschine ging es nach Phu Quoc.

Da, wo der Pfeffer wächst

Phu Quoc, das ist wortwörtlich da, wo der Peffer wächst. Das zweite Standbein der Insel ist die Fischsaucenproduktion. Sie gilt als Delikatesse und wird in die ganze Welt verschifft. Ansonsten gibt es eine handvoll Hotels, einen Fischmarkt und im Grossen und Ganzen eine Hauptstrasse. Das „Koh Samui vor 30 Jahren“ heisst es. Und tatsächlich, viele der Strände sind noch vom Tourismus unberührt. Direkt am Meer stehen kleine Geräteschuppen, Autoreifen stapeln sich daneben und Kühe kauen an den vereinzelten Grasbüscheln am Strand.


Unberührte Strände in Phu Quoc. (Bild: © Julia Schattauer / bezirzt.de)

Ganz im Süden seien die Strände besonders schön und deshalb beschliessen wir, mit den Rollern einmal die Insel zu umrunden und diesen Stränden einen Besuch abzustatten.

Gestern hatten wir bereits Roller gemietet und die nähere Umgebung erkundet, mitten durch den Dschungel, duruch die winzigen Strassen am Markt und über die holprigen Sandpisten, ein echtes Abenteuer. Gas hier, Bremse da, Helm auf und los. So schnell mietet man in Asien einen fahrbaren Untersatz. Vorkenntnisse sind nebensächlich. Mit einem „be careful“ entlässt uns die Dame auf die Strasse. Zuerst etwas wackelig aber später immer mutiger und schneller heizen wir über die rostroten Sandpisten. Wir weichen im letzten Moment wildwechselnden Kühen aus, fahren durch traditionelle Fischerdörfer und über Brücken, die aus mehr Lücken als Holzbretter bestehen. Wir irren stundenlang über kleine Pfade im Dschungel, müssen eine schwangere Frau bezahlen, damit sie uns wieder auf den rechten Weg bringt und bahnen uns unseren Weg durch den lebhaften und menschenüberfüllten Markt. Wir sind euphorisiert.


Ein typisch vietnamesischer Kaffee. (Bild: © Julia Schattauer / bezirzt.de).

Gen Süden

Heute also fahren wir gen Süden. Den Grossteil der Strecke wollen wir auf der Hauptstrasse zurücklegen, die als einzig geteerte Strasse schnelles Vorankommen verspricht. Sie ist breit, Lastwagen rasen an uns vorbei aber das Verkehrsaufkommen hält sich in Grenzen. Wir sind erst wenige Kilometer gekommen, ich geniesse die Fahrt, fühle mich sicher, als alles plötzlich furchtbar schnell geht, obwohl es mir in der Erinnerung wie in Zeitlupe erscheint.

Ich sehe, dass meine Freundin, die vor mit fährt, unvermittelt nach rechts ausweicht. Ich erschrecke, lenke ebenfalls nach rechts, versuche das Gleichgewicht zu halten, als sie vor mir ins Schleudern gerät und hinfällt. Ich versuche auszuweichen, erwische aber ihr Hinterrad und stürze ebenfalls. An die nächsten Momente erinnere ich mich nur verschwommen. Ich weiss, dass ich erleichtert feststelle, dass ich alles bewegen kann und nichts gebrochen ist. Wir stehen unschlüssig neben unseren Rollern, als zwei Männer anhalten und uns beim Aufrichten helfen. Sie schieben die Roller an den Strassenrand, vergewissern sich, dass uns nichts Schlimmes passiert ist und fahren davon.

Mir wird schlecht und mein Hinterkopf dröhnt (ich danke meinem Helm) und gehe ein paar Schritte in das Waldstück, um mich zu übergeben. Ich weiss nicht, wie lange wir schon am Strassenrand sitzen, es kommt mir ewig vor.


Einen Roller kann man in Asien ganz einfach leihen. Bild: © Julia Schattauer / bezirzt.de)

Einheimische fahren an uns vorbei, zeigen in Richtung Dorf, um uns zu signalisieren, dass dort einen Arzt gibt. Eine Frau kommt zurück, schmiert auf unsere zahlreichen Schürfwunden eine rote Paste und wir danken ihr ohne grosse Worte aber von Herzen. Ich merke, dass ich meinen Ellbogen nicht richtig bewegen kann, Annas Knie schwillt an und unsere Abschürfungen an Armen und Beinen brennen, aber uns ist bewusst, welches Glück wir hatten. An die vorbeirasenden LKW’s will ich nicht denken.

Nach einiger Zeit überlegen wir, was wir jetzt tun sollen. Irgendwie müssen wir ja schliesslich zurück. Wir gehen ein paar Schritte, prüfen, wie es um uns bestellt ist und beschliessen, uns mit unseren ramponierten aber fahrtüchtigen Rollern auf den Heimweg zu machen. Ängstlich und im Schneckentempo fahren wir zum Hotel, wo uns schon von Weitem die Rollerverleiherin erblickt und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt: „I told you to be careful“, ruft sie. Ähm ja. Sorry.

Die nächsten Tage verbringen wir im Bett. Versorgen unsere Wunden mit Pflastern und Bandagen. Zum Glück sind wir zu zweit, ersetzten uns gegenseitig wenn nötig Arm und Bein. Auch die nächsten Wochen sind wir gehandicapt, ich kann mich weder alleine anziehen noch als Linkshänderin meine linke Hand benutzen, aber wir sehen durchaus die Vorteile: Unsere Bandagen sind ein prima Gesprächseinstieg, ich hätte nie gelernt mit rechts mit Stäbchen zu essen und mein „Vietnam-Tattoo“ die Narbe am Unterarm, erinnert mich bis heute an eine unvergessliche Reise.

 

Artikelbild: © Julia Schattauer / bezirzt.de

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Mehr zu Julia Schattauer

Julia Schattauer ist freie Autorin und leidenschaftliche Bloggerin. Geschichten vom Reisen sind ihr Steckenpferd. Neben nützlichen Fakten geht es ihr in erster Linie ums Storytelling. Darum, den Leser in die Welt mitzunehmen und sein Fernweh zu wecken. Als studierte Kunsthistorikerin, Tourismus-, und Literaturwissenschaftlerin schreibt sie ausserdem über Themen aus Kunst und Kultur.

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