Die Festung La Bâtiaz – das Mittelalter jenseits aller Verklärung

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Mittelalter“ hören? An buntes Jahrmarkttreiben mit Gauklern, farbige Gewänder und faszinierende (und manchmal auch nervende) Musik? Mittelaltermärkte, die all diese Klischees bedienen, ziehen recht erfolgreich durchs Land und ernähren ihren Mann – und ihre Frau.

Ritterburgen in Kinderzimmern und die Lehren und Musik der Hildegard von Bingen erleben eine so nie erwartete Renaissance. Diese Mittelalter-Sehnsucht beinhaltet schon sehr viel Irrationales, wenn man sich die historischen Lebensbedingungen der mittelalterlichen Bevölkerung vor Augen führt.

Um die realistische Seite des Mittelalters nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, die harten Lebensbedingungen und Grausamkeiten nicht auszublenden – dazu beizutragen ist auch die Denkmalpflege angetreten, unter anderem, wenn sie dafür sorgt, dass man auch Waffen und Folterinstrumente in Burgen und Schlössern zu sehen bekommt.


Die realistische Seite des Mittelalters (Bild: © kilukilu – shutterstock.com)

Wenn Sie die Festung La Bâtiaz bei Martigny besuchen, erhalten Sie einen recht deutlichen Eindruck von den Seiten des Mittelalters, die Sie auf Jahrmärkten vergeblich suchen werden. Die hier zu sehenden Schleudern und Wurfmaschinen haben nun gar nichts mit den selbst gebastelten Steinschleudern und Katapulten Ihrer Kindheit zu tun. Diese Belagerungsmaschinen kamen vom 12. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert zum Einsatz und hatten eine solche Zerstörungsgewalt, dass selbst solide Festungsmauern den von ihnen geschleuderten Geschossen nicht standhalten konnten.

Am beeindruckendsten ist wohl Le Trébuchet, eine sechzehneinhalb Meter hohe Steinschleuder, mit der man Geschosse von 125 Kilogramm über 200 Meter weit fliegen lassen konnte. 50 bis 100 gestandene Krieger waren nötig, um den Hebelarm des Giganten seinen Dienst tun zu lassen. Auch eine Kanone von 1500 Kilogramm Gewicht ist auf La Bâtiaz zu sehen. Die Kugeln, die damit abgefeuert wurden, wogen bis zu 100 Kilogramm.

Wenn man an dem Wohntrakt vorbei in den Innenhof tritt, wird man mit einer zweifelhaften Facette menschlicher Kreativität im Mittelalter konfrontiert: Eine Frauenstimme erklärt zu mittelalterlicher Harfenmusik die hier ausgestellten Folterinstrumente. Der Kontrast könnte kaum grösser sein.


Le Trébuchet, eine sechzehneinhalb Meter hohe Steinschleuder (Bild: © Jeffrey B. Banke – shutterstock.com)

Wie sich eine Behandlung im hängenden Käfig oder mit den Streckapparaten angefühlt haben mag, kann man sich hier bildhaft vorstellen. Mit deftiger Ironie wird ein Nagelstuhl mit dem Hinweis präsentiert, dass es nicht gestattet ist, darauf Platz zu nehmen.

Eine atemberaubende Aussicht haben Sie vom Hauptturm aus. Die enge Wendeltreppe, die Sie hinaufsteigen müssen, hält so manche Überraschung parat, die Ihnen die realistische Seite des Mittelalters drastisch vor Augen führt. Das Panorama des Rhoneknies, das sich Ihnen bietet, wenn Sie das Ende der Treppe erreicht haben, wird Sie für die Mühen des Aufstiegs entschädigen.



Vielleicht haben Sie schon viele unter Denkmalschutz stehende Burgruinen und mittelalterliche Schlösser besucht und fanden Lage und Ambiente wildromantisch. Auch viele Schilderungen von Belagerungen oder Erstürmungen mittelalterlicher Burgen in zahlreichen sich historisch nennenden Büchern klingen eher spannend und abenteuerlich. Nach einem Besuch auf der Festung La Bâtiaz werden Sie das allerdings mit etwas anderen Augen sehen.

 

Oberstes Bild: © Claudio Giovanni Colombo – shutterstock.com

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