Die Pirateninsel Tabarca: Spanien en miniature

Die Fähre legt gleich ab. Im überfüllten Wasserfahrzeug herrscht heitere, leicht euphorische Stimmung. Die fröhlichen, per definitionem typischen, mit Fotokameras beladenen und alle brav einen Sommerhut tragenden Touristen lachen so viel und so herzlich, dass sie sogar die mitfahrenden Einheimischen mit ihrer die Existenz des grauen Alltags leugnenden Stimmung anstecken. Die Überfahrt wird nicht viel länger als eine halbe Stunde dauern und das Reiseziel liegt gut sichtbar vor den Augen: Die Insel Tabarca.

Die Insel liegt nur etwa fünf Kilometer vom spanischen Küstenort Santa Pola an der Costa Blanca entfernt. Administrativ gehört die Insel zur Provinzhauptstadt Alicante und ist die einzige bewohnte Insel in der Comunidad Valenciana. Das ganze Jahr über gibt es Wassertransportverbindungen von Alicante und Santa Pola aus. In den Sommermonaten verkehrt die Fähre in regelmässigen Zeitabständen zwischen Tabarca und naheliegenden Küstenorten wie Torrevieja oder Benidorm.


Das Eigangstor zu der Stadt (Bild: Natalia Muler)


In erster Linie lasst uns geographische Klarheit schaffen: Tabarca ist nicht mal eine Insel, es handelt sich streng genommen um einen Archipel. Also, es gibt eine Insel, eine Halbinsel und drei Schären – La Cantera, La Galera y la Nao. Und auf diesem klitzekleinem Stückchen Land findet eine richtige Stadt Platz, umgeben von einer gut erhaltenen Festungsmauer, mit allem, was dazu gehört, – Strassen, Plätzen, Geschäften, Restaurants, einer Kirche, einem Turm und einem Gouverneurshaus.   Und mehr noch – weil es allen Ernstes noch ein „ausserhalb der Stadt“ gibt. Und da finden die Besucher: einen Hafen, Strände (mehrere), zahlreiche Buchten – einige davon mit Höhlen – einen Friedhof, ein Museum und den Leuchtturm mit einem meeresbiologischen Labor im Erdgeschoss. 

Die Insel Tabarca ist wie eine kleine Zelle, die vom grossen Kontinent abgenommen und unter der Lupe betrachtet wird; ein Modell, in dem sich das ganze Auf und Ab der menschlichen Geschichte beobachten lässt.


In der Altstadt von Tabarca (Bild: Natalia Muler)


Bis in die Neuzeit war Tabarca eine echte Pirateninsel. Die berberischen Korsaren benutzten sie als Stützpunkt für ihre Angriffe in den naheliegenden Gewässern. Erst im 17. Jahrhundert fing man an, auf der Insel die ersten Bauten zu errichten mit dem Zweck, sie mit der Zivilbevölkerung zu besiedeln und dadurch die Piraterie zu bekämpfen. In jener Zeit hiess die Insel noch „La Isla de San Pablo“, weil der berühmte Apostel, so die Legende über seine Reise nach Spanien, genau hier an Land gegangen sein soll.

Die Geschichte der Insel, so wie wir sie heute kennen, begann 1768: Auf Befehl von Carlos III wurde die Bevölkerung der tunesischen Insel Tabarka befreit. Fast 70 Familien, die Tabarka bewohnten, stammten ursprünglich aus Ligurien (deswegen tragen auch heute noch die Inselbewohner fast ausschliesslich italienische Namen) und wurden vom tunesischen Bey zu Sklaven gemacht. Nach einer erfolgreichen Rettungsaktion wurden die Befreiten nach Spanien gebracht, und die Insel bekam einen anderen Namen – die Neue Tabarca. Jede Familie der Übersiedler bekam ein eigenes Haus – so entstand eine richtige von den Festungsmauern umgebene kleine Stadt mit Strassen, Plätzen und einer Kirche.


Der Hafen von Tabarca (Bild: Natalia Muler)


Widmeten sich die ersten Pioniere von Tabarca noch der Fischerei, lebt die von der spanischen Wirtschaftskriese spürbar angeschlagene Insel heutzutage ausschliesslich vom Tourismus. Und wieder ist das Leben der kleinen Insel wie ein Abbild der Aktualität in einem Vergrösserungsspiegel. Nur etwa 70 Inselbewohner sind auf Tabarca angemeldet, von ihnen wohnen nur 30 ganzjährig auf der Insel. Viele Häuser sind verlassen, auf dem Kontinent findet man leichter einen Job und hier gibt es Arbeit nur in den Sommermonaten.


Der Sonnenuntergang auf Tabarca (Bild: Natalia Muler)


Dafür ist die Insel ein echtes Erlebnis für die Touristen. Die Fahrt mit der Fähre bildet einen schönen Auftakt zu dem ganzen Ausflug. Die Gewässer um die Insel wurden zum Wasserschutzgebiet wegen der erstaunlichen Vielfalt von Flora und Fauna erklärt. Auf halbem Wege bleibt die Fähre für eine kleine Weile stehen, und die Fahrgäste können durch ein transparentes Bodenfenster das schwungvolle Meeresleben beobachten. Einmal auf der Insel angekommen, wird jeder eine Beschäftigung nach eigenem Geschmack finden: Auf dem Strand liegen und baden, die Stadt mit ihren barocken Bauten, das Museum oder den Leuchtturm besichtigen, Hobbytaucher können sich in ihre Lieblingsmaterie vertiefen und Wassersportfans werden auch auf keinen Fall enttäuscht werden.


Die Spezialität des Hauses – la paella (© Tamorlan / Wikimedia / CC)


Und wer Hunger gekriegt hat, muss unbedingt die Spezialität von Tabarca probieren – eine Art von berühmten spanische Paella, die  „caldero tabarquino“ heisst – höchst empfehlenswert!   

Oberstes Bild: Die Insel Tabarca (Bild: Natalia Muler)

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