Einmal Orkney und zurück: mit dem Auto quer durch Britannien (Reisebericht)

Gemeinschaft haben und Grossbritannien einmal anders erleben – das setzten sich acht junge Männer zum Urlaubsziel. Gut und günstig sollte es sein. Herausgekommen ist eine ungewöhnliche Autotour durch die Insel und darüber hinaus. Ein Erlebnisbericht.

Chris ist ein besonderer Mensch. Ehemals Elitesoldat der britischen Armee, hat er sich vor einiger Zeit nach Hoy, eine der Orkney-Inseln, zurückgezogen. Chris ist ein Aussteiger. Und der Vater eines meiner Freunde. Gemeinsam mit anderen Freunden beschlossen wir, Chris zu besuchen – und den Weg zum Ziel zu machen. Denn die britische Hauptinsel hat mehr zu bieten als man denkt.

Nachdem das Ziel jenseits der schottischen Nordküste feststand, ging es an die Reiseplanung. Zwei Wochen lautete das Zeitbudget. Direkt nach Glasgow zu fliegen, erwies sich als zu teuer bzw. von den Heimatflughäfen der meisten Teilnehmer nicht realisierbar. Aber wieso gleich nach Schottland, wenn man doch Zeit hat und vorher noch ganz England sehen könnte! Also trafen sich sechs der Jungs an einem Tag Mitte August in London-Stansted – die anderen zwei, darunter meine Wenigkeit, sollten vier Tage später in Glasgow dazustossen. Dennoch bin ich qualifiziert, über den Trip zu schreiben, denn England habe ich ja auf der Rückfahrt erlebt.

Was zwischen London und Glasgow also geschah, weiss ich nur aus Erzählungen. Fakt ist, dass uns die Jungs mit zwei restlos vollgepackten Opel Astra begrüssten (siehe Bild). Irgendwie konnten wir uns da noch reinquetschen. Und meckern galt sowieso nicht, denn endlich hatten wir – Urlaub! Und den muss man geniessen. Schwerer fiel da schon eher die Umstellung auf das links fahren und rechts steuern. Zu meiner Überraschung (und Erleichterung) waren jedoch nicht auch die Gänge spiegelverkehrt angeordnet.


Proviant hat seinen Preis! (© Alin Cucu)


Schon kurz hinter Glasgow setzte bei mir die Entspannung ein. Die Highlands sind einfach eine traumhafte Landschaft. So frei, so wild, so klar, so mystisch. Noch am gleichen Tag machten wir Halt am Loch Lomond. Der See war so kalt wie ein Bergbach und so glatt wie ein Spiegel. Danach gemeinsames Picknick, rustikal mit Taschenmesser und Brot aus der Tüte. Sowas kann man auch nur unter Männern machen.

Aber natürlich wollten wir nicht nur das mitgebrachte Aldi-Food essen. Also los auf die britische Küche. Fish & Chips gibt es tatsächlich fast an jeder Ecke, wenn auch mit grossen Qualitätsunterschieden. Eine andere „Spezialität“ kosteten wir zum ersten Mal im Leben: „Black Pudding“, eine Blutwurst, die ihrem Namen alle Ehre macht. Ist aber trotzdem sehr lecker!

Schon zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher: Die Reise wird ein voller Erfolg. Keinen Augenblick hatte ich bis dato bereut. Wir waren als Gruppe super zusammengewachsen, hatten sehr viel Spass und gute Gespräche. Eine gute Chemie ist freilich der Garant für das Gelingen einer solchen Tour. Gut, wenn man sich schon vorher kennt.

Und dann war es soweit. In Thurso warteten wir auf unsere Fähre nach Lyness auf Hoy, wo Chris auf uns wartete. Empfand ich die Highlands schon als beruhigende und befreiende Landschaft, so verstärkte sich dieser Effekt mit jedem Meter, den wir das Festland hinter uns liessen. Schon von weitem wurde mir klar: Die Orkneys sind ein Ort, an dem die Zeit stehen bleibt, ein Ort, an dem die Seele einen tiefen Atemzug Seeluft nimmt und das innere Hintergrundrauschen zum Erliegen kommt.


Runengrab auf Hoy. (© Alin Cucu)


Chris‘ Haus war zwar klein und einfach, aber dafür nicht minder interessant. Im scheinbaren Chaos hatte er alles, was man zum Leben braucht. Auf ein „Do you have honey?“ zauberte er hinter irgendwelchen ehemaligen Lackdosen einen Bottich leckeren Imkerhonig hervor. Sehr speziell auch die Art, wie nicht nur Chris, sondern (fast) die ganze Insel heizt: nämlich mit Torf. Den gibt es im Überfluss auf Hoy, wo nicht ein einziger Baum steht. Gerne halfen wir unserem Gastgeber beim Torfstechen. Das Schleppen der zig Kilo schweren Säcke war ganz schön anstrengend, weshalb wir uns auch eine gute Portion Ruhe verdient hatten. Das Heidekraut ist nach wie vor meine Nr. 1 der weltweit besten Matratzen (siehe Bildergalerie).

Auf Hoy leben gerade einmal 400 Menschen. Die Häuser stehen mehrere hundert Meter auseinander. Dennoch sind die Insulander einander nicht gleichgültig. Man hilft sich, wo man kann, und trifft sich zu Social Events, wie wir es mit dem Inseltanz live erlebten. Das Beeindruckendste blieb aber die Natur. Weite Grasflächen, sanfte Buchten, und immer wieder helle Flecken im Gras: Adlerlandeplätze, wie mir auf Anfrage gesagt wurde. Unbestrittenes Highlight war und blieb jedoch der „Old Man of Hoy“ (siehe Titelbild), ein einsamer Felsen vor der Nordwestküste der Insel, vom Festland durch Felsabgänge und Erosion getrennt.

Frank auf einem Adlerlandeplatz. (© Alin Cucu)


Nach einer Woche Orkney Islands hiess es dann wieder aufbrechen. Trotz der wunderbaren Zeit im Norden freute ich mich nun auf England, das ich noch nie vorher gesehen hatte. Zuvor aber machten wir Halt in der wohl schönsten Stadt Schottlands, Edinburgh, diesmal bei Chris‘ Schwester. Edinburgh hat eine einzigartige Atmosphäre mit der über der Stadt thronenden Burg und regelmässig stattfindenden Dudelsack-Konzerten unter freiem Himmel.

Dudelsackspieler in Edinburgh. (© Alin Cucu)


Die hügelige, grüne Landschaft der Highlands setzte sich zu meiner Freude in England fort. Bei Newcastle übernachteten wir auf einem Campingplatz. Diese suchten wir nun jede Nacht auf, da wir nirgendwo ein Pension gebucht hatten. Kein Problem in Mittelengland, doch in London sollte uns das fast zum Verhängnis werden. Aber dazu später mehr.

Vor der Hauptstadt folgte noch ein weiteres Highlight: Oxford. Die ganze Stadt wirkt aufgeräumt wie ein Wimbledon-Rasen vor dem Turnier.  Jedes Gebäude, jede Strasse verströmt Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Wären da nicht die horrenden Lebenshaltungskosten, könnte man Oxford getrost als Traum vieler Studenten bezeichnen.

Kurze Zeit später kündigten sich bereits die Outer Rims von London an. Einen Campingplatz hatten wir auf der Karte gesehen – finden lassen wollte er sich nicht. Bei Dunkelheit standen wir schliesslich in einem zwielichtig anmutenden Suburb, und konnten im Vor-Smartphone-Zeitalter nichts als fragen. Ohne Ergebnis. Der Hunger trieb uns schliesslich in ein jamaikanisches Lokal, das merkwürdig schlecht besucht war. Als der Besitzer zunächst uns und dann seinen Rolls-Royce vor der Tür mit seltsamem Blick musterte, verabschiedeten wir uns höflich wieder.

Zum Glück hatten wir noch einen Notnagel im Gepäck. Eine Telefonnummer, die Steffen in Deutschland von einem Bekannten zugesteckt bekommen hatte, brachte unsere Rettung. Die Familie, die wir um kurz vor Mitternacht aus dem Bett klingelten, hatten wir noch nie gesehen – uns verband lediglich eine Freundschaft über drei Ecken. Wir bekamen jedoch nicht nur einen warmen Schlafplatz, sondern wurden auch noch fürstlich bewirtet und bekamen eine kostenlose London-Führung. Nie werde ich vergessen, was diese Menschen für uns getan haben.



Und dann hiess es Abschied nehmen. Von London, von England, von Schottland, von Hoy, von Chris. Es war super. Irgendwann komme ich wieder. Nicht mehr mit sieben wilden Kerlen, sondern mit meiner Familie. Es wird zivilisierter sein. Und doch wird die Erinnerung an unser Männer-Abenteuer nie verblassen.

 

Oberstes Bild: Old Man of Hoy (© Alin Cucu)

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