Berge, Strand und Dschungel an einem Tag? - Ein Roadtrip durch Neuseeland
VON Helena Sonnen und Tobias Retzlaff Australien Trips
Neuseeland – das Land am anderen Ende der Welt. Dort, wo mehr Schafe als Menschen leben. Dort, wo einzig auf der Erde Gletscher bis zum Meer führen und in tropischen Regenwäldern enden. Wo aktive Vulkane Feuer spucken, wo dich verschlungene Wege durch eine hügelige Märchenwelt führen. Wo geheimnisvolle Sagenwelten vor deinen Füssen liegen und zum Träumen einladen.
Das Land, in dem so viele Reisende ihre Sehnsucht nach Ferne und Weite stillen, in dem sie ewig bleiben möchten, weil sie sich auf den ersten Blick verliebt haben. Das Land, von dem ich so lange träumte und das ich nun endlich erleben darf.
Mit einem kleinen Mietwagen wollen mein Freund und ich vier Wochen die Südinsel und zwei Wochen die Nordinsel bereisen. Ein Zuhause auf vier Rädern. Jeden Tag an einem anderen Ort in der Natur einschlafen und wieder aufwachen. Dort bleiben, wo es gerade gefällt und weiterfahren, wenn die Sehnsucht nach mehr ruft.
FREIHEIT pur! Dachte ich. Doch spätestens nach der ersten Tankfüllung wurde uns bewusst: Neuseeland wird eine Menge unseres Ersparten in Anspruch nehmen.
Ein verträumter Tag in Christchurch
Wir starten in Christchurch, der grössten Stadt der Südinsel. ,Otautahi` wird sie von den Maori nach einem Häuptling genannt. Die Ureinwohner tragen einen hohen Stellenwert in der neuseeländischen Kultur.
Im alten Stadtzentrum lassen sich noch deutlich die Spuren des letzten Erdbebens von 2011 erahnen. Viele Künstler nahmen sich dieses Themas an und schufen eine Antwort auf das Beben. Aus alten Schiffscontainern entstand die temporäre Shoppingmeile Re:START.
Wir lassen tiefgrün bewaldete Berge hinter uns, fahren auf kurvigen Küstenstrassen oder entlang eines Sees, der so unbeschreiblich klar ist, dass man kaum seinen Augen trauen kann.
Auf den Hügeln weiden Schafe und schenken ein Gefühl von Geborgenheit. Wir durchqueren eine Märchenwelt und tauchen sogleich in ihre Geschichten ein.
Am nächsten Morgen brechen wir noch vor Sonnenaufgang vom Lake Tekapo auf. Es ist bitter kalt, zumindest fühlt es sich in den dünnen Sommerklamotten so an. Auf 2°C in der Nacht waren wir nicht vorbereitet.
In Nebel gehüllte Berge umgeben uns zu beiden Seiten. Wir nähern uns dem höchsten Berg Neuseelands – dem Mt. Cook (3754m); dem ,Durchbohrer der Wolken`, wie ihn die Maori nennen. Als bilde er eine Brücke zwischen Göttern und Menschen. Schnee bedeckt seine oberste Spitze. Daneben lagert eine Gebirgskette, die samtig grün im Sonnenlicht funkelt. Ich weiss nicht, zu welcher Seite ich länger schauen mag, so gefangen nimmt mich diese Aussicht. Man lässt nur wenige Meilen hinter sich und schon erwartet einen ein völlig neues Landschaftsbild.
Auf einsamen Strassen fahren wir weiter. Am Nachmittag erreichen wir das Meer. Hier treffen wir auf die Moreaki Boulder, eingegraben in den Sand. Mein Freund tut diese als blosse Kugeln aus Stein ab, doch ich kann den Legenden der Maori, die um sie ranken, etwas abgewinnen. Mit bis zu zwei Metern Durchmesser und von unterschiedlichen Mustern verziert wirken sie in dieser Dämmerung noch dazu sehr mystisch.
Doch wo sind wir hier nun wieder gelandet? Auf unserer abendlichen Schlafplatzsuche sehen wir die für uns grössten Schätze des Landes: die verborgenen Orte. Wir lieben die als ,Gravelroad´ ausgezeichneten holprigen Nebenstrassen, die uns zu einem unberührten Paradies führen. Und dabei macht unser kleines Auto tapfer allen Unfug mit. Na ja, fast immer. Aber was wäre ein Roadtrip ohne Panne?
Wir fahren über ein schmales Flussbett in den dunklen Wald hinein. Wie durch ein Wunder führt uns dieser Waldpfad irgendwann zu einer Lichtung und endet, wer hätte das an diesem Tag geahnt, mitten im Dschungel. Obendrein ist hier ein Waldcampingplatz. Nichts fehlt uns mehr zum Glücklichsein.
Früh wecken uns am nächsten Morgen das Zwitschern der Vögel und die Neugier auf den Ort, an dem wir hier gelandet sind. Nach einem Spaziergang bei Sonnenaufgang durch den Dschungel folgt ein erfrischendes Bad im Bach. Er ist kristallklar, aber auch eiskalt.
Da steht plötzlich wie aus dem Nichts ein Mann mit Wanderstock auf dem Felsvorsprung über mir. „Oh, you want to take a bath?“, fragt er mich sorglos und ruft im nächsten Moment seine ganze Grossfamilie herbei – sie solle sich mal ansehen, wie man im Fluss badet. Da ruhen nun sechs Augenpaare auf mir und schauen belustigt zu mir herunter, als hätten sie so etwas noch nie zuvor gesehen. Ein entspanntes Bad habe ich mir anders vorgestellt. Wie machen das eigentlich andere Backpacker? Dennoch möchte ich in diesem Augenblick nichts gegen dieses wohlige Gefühl eines so lang ersehnten Bades eintauschen.
Nach dem Frühstück geht die Fahrt weiter. An welchem Ort wir heute Abend nächtigen und welch Anblick uns am nächsten Morgen erwarten wird, ist noch ungewiss.
Doch was ist nur los mit unserer anfänglichen Euphorie?
Während wir auf der Südinsel noch voller Begeisterung für die Bilderbuchlandschaft waren, zieht sie auf der Nordinsel eher passiv an uns vorbei. Zu viele Eindrücke sind in den letzten Wochen auf uns niedergeprasselt. Viele Nächte mit wenig Schlaf. Fast schämen wir uns dafür, all der Schönheit nicht mehr ehrlich gerecht werden zu können. Die Reiseroute erschien so komplex. Wie soll man denn alles, was dieses Land bietet, in nur sechs Wochen bereisen? Die Antwort ist einfach: Es ist schlicht unmöglich!
In Auckland angekommen, geben wir nach zwei Wochen auf der Nordinsel unser Auto wieder ab. Hier endet dieses Abenteuer. Und zugleich beginnt hier ein neues.
Über die Höhen und Tiefen eines Roadtrips
Während eines gemeinsamen Roadtrips lernt ihr eure Reisebegleitung sehr gut kennen. Vielleicht sogar in manchen Momenten mehr, als euch eigentlich lieb ist. So teilten wir nicht nur jede Minute am Tag miteinander, sondern so manche schlaflose Nacht und auch jedes Leid, wie Rückenschmerzen und üble Sandflystiche. Doch spätestens der Anblick der nächsten Wegkreuzung lässt dich innehalten und alle Nichtigkeiten vergessen, denn das, was du siehst, ist von gewaltiger Schönheit.
Fazit
Neuseeland trägt so viele unterschiedliche Gesichter, wie ich es von keinem anderen Land kenne. Und das alles so nah beieinander. Dieses Land lässt dir keine andere Wahl, als dich Hals über Kopf in seine Schönheit und Naturbelassenheit zu verlieben.
Bilder: © Helena Sonne und Tobias Retzlaff