Dornach – auf den Spuren Rudolf Steiners
Fast unmittelbar vor den Toren von Basel befindet sich die Gemeinde Dornach – ein eher unscheinbarer Ort mit einem alten dörflichen Kern und gutbürgerlichen Wohnvierteln mit gepflegten Vorgärten, typisch für Siedlungen im „Speckgürtel“ von Grossstädten. Tatsächlich ist das Zentrum von Basel nur gut zehn Kilometer entfernt.
Der alte Dorfkern Dornachbrugg, die historische Birsbrücke mit der Nepomukstatue, die Kirche St. Mauritius, das Kapuzinerkloster und die nahen Ruinen von Schloss Dorneck bilden die wesentlichen Sehenswürdigkeiten aus früherer Zeit.
Aber Dornach hat noch etwas anderes zu bieten – eine Architektur, die ungewöhnlich ist und nicht nur Baukunst ausdrückt, sondern eine Weltanschauung. Gemeint ist das Goetheanum, ein eindrucksvolles Bauwerk aus den 1920er Jahren.
Es wurde von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie initiiert und setzt seine Gedanken sozusagen in Stein um. Das Goetheanum ist dabei nur zentraler Teil eines Baukomplexes und einer Parkanlage, die sich zu einem gewollten Ganzen fügen.
Rudolf Steiner und die Anthroposophie
Rudolf Steiner wurde 1861 in der Donaumonarchie geboren und starb 1925 in Dornach, das zuletzt auch seine Wirkungsstätte war. Es ist nicht ganz einfach, das umfangreiche Gedankenwerk des esoterischen Philosophen kurz zu beschreiben.
Die von ihm begründete Anthroposophie ist eine spirituelle Weltanschauung, die in sich Ansichten des deutschen Idealismus, die Weltbetrachtung Goethes, gnostische Elemente, fernöstliche Lehren und Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu vereinen sucht. Bis heute hat die Anthroposophie durchaus Anhänger, ist aber auch umstritten. Philosophie, Religion oder Sekte? An dieser Frage scheiden sich die Geister.
Kennzeichnend für das Werk Steiners ist die Ausstrahlung in alle Lebensbereiche. Ob in der Pädagogik (nach wie vor in den Waldorfschulen präsent), der Medizin, der biodynamischen Landwirtschaft, in Kunst und Kultur oder eben in der Architektur, überall lassen sich anthroposophische Prinzipien umsetzen und wiederfinden.
Das Goetheanum ist dabei wohl der sichtbarste und bis heute bedeutendste bauliche Ausdruck dieser Weltanschauung. Dabei handelt es sich um das zweite Bauwerk an dieser Stelle. Das erste Goetheanum fiel am 31. Dezember 1923 einem Brand zum Opfer – die Ursache wurde nie geklärt. Mit dem zweiten Goetheanum wurde 1925 begonnen, wenige Monate vor dem Tod Rudolf Steiners. Offiziell wurde der Bau 1928 eröffnet, bis zur endgültigen Fertigstellung der letzten Innenausbauten sollte es bis zur Jahrtausendwende dauern.
Das Goetheanum – organische Architektur
Es handelt sich um ein gewaltiges Gebäude aus Beton und Glas. Rund 110‘000 Kubikmeter umfasst der umbaute Raum, dafür wurden 15‘000 Kubikmeter Beton verbaut. Kennzeichnend für das ganze Bauwerk ist das Fehlen des Rechtecks als Gestaltungselement. Stattdessen dominieren schräge, abgerundete und geschwungene Formen – eine „organische Architektur“.
Von oben betrachtet erinnert das Goetheanum entfernt an einen Schildkrötenpanzer. Die repräsentative Westfassade wird durch zwei monumentale Glasflächen geprägt. Auch im Inneren setzt sich die ungewöhnliche Gestaltung in der Raumgebung mit farbigen Fenstern, Malereien und Formen fort. Das Schmuckstück bildet der trapezförmige Grosse Saal mit 1‘000 Sitzplätzen. Das ganze Gebäude ist durch seine Lage auf einem Hügel weithin zu sehen. Das Goetheanum wird vor allem für Kultur- und Kunstveranstaltungen genutzt. Unter anderem werden Goethes Faust und die Mysteriendramen Rudolf Steiners regelmässig aufgeführt. Manche sehen in dem Bau auch einen anthroposophischen „Tempel“.
Die das Goetheanum umgebende Parkanlage, die Funktionsbauten Heizhaus, Transformatorhaus, Glashaus und Hochatelier sowie mehrere Wohnhäuser folgen ebenfalls dem Prinzip der organischen Gestaltung. Das 1914 erbaute Glashaus ist dabei mit seinen beiden Kuppeln so etwas wie die Mini-Ausgabe des ersten Goetheanums. Der Gedenkhain auf dem Gelände hütet neben der Urne Rudolf Steiners die Asche anderer bekannter Anthroposophen, darunter die des Dichters Christian Morgenstern.
Imposanter Kontrast – Burg Dorneck
Wer nach so viel Anthroposophie genug hat, für den mag vielleicht eine Kurzwanderung zur Ruine Dorneck eine lohnende Abwechslung sein. Die Burgmauern liegen via Rüttiweg und Schlossweg nur rund anderhalb Kilometer vom Goetheanum entfernt. Auch als Ruine wirkt die Anlage auf einer umwaldeten Anhöhe ausserhalb von Dornach immer noch imposant.
Burgmauern und Befestigungstürme sind noch gut zu erkennen, die anderen Bauten des Schlosses erfordern mehr Phantasie. Früher diente Schloss Dorneck den Solothurner Vögten als Sitz und Befestigung. Sein Ruinendasein verdankt das Schloss vor allem der Nutzung als Steinbruch im 19. Jahrhundert. Den Besucher von heute, der von hier aus die schöne Aussicht geniesst, dürfte das nur wenig stören.
Fazit
Dornach im Kanton Solothurn war die Wahlheimat von Rudolf Steiner, des Begründers der Anthroposophie. Das Goetheanum ist Ausdruck und bleibendes Denkmal dieser Weltanschauung.
Artikelbild: © Rynacher, Wikimedia, CC BY-SA 3.0