Flandern – mehr als nur ein Durchfahrtsland

Flandern ist der nördliche Teil Belgiens, und Belgien hat zumindest zwei Dinge mit der Schweiz gemeinsam: Beide haben Touristen einiges zu bieten, werden wegen ihrer Lage jedoch oft als „Durchfahrtsländer“ bezeichnet. 

Wer Flandern nicht nur auf dem Weg nach England durchquert, sondern sich auch jenseits der Autobahnen umsieht, kann einiges entdecken – darunter 60 Kilometer Küste mit alten Seebädern und die ambitionierteste Pommes-Frites-Kultur der Welt.

Flandern ist klein, aber groß genug für ein Road Movie

Flandern – in der niederländischen Landessprache Vlaanderen – ist kein großes Gebiet: In die Schweiz würde es drei Mal hineinpassen. Wer hier seine Ferien oder ein langes Wochenende verbringen will, kann das besonders gut mit dem Auto. Die Strecken sind überschaubar, Etappenziele oder Tagestouren müssen nicht kompliziert geplant, sondern können ruhig auch dem Zufalls- oder Experimentierprinzip überlassen werden. Mit der Individualmobilität hat man die besten Chancen, sich die Straßen des dichtbesiedelten Flandern zu öffnen und schöne Wege und Ecken zu finden.

Von Süden kommend, fährt man erst durch den südlichen, wallonischen Teil Belgiens. Hat man Flandern erreicht, merkt man das sofort – denn hier wird das Land merklich flacher, und die bewaldeten Hügel Walloniens verschwinden langsam im Rückspiegel. Die Wälder Flanderns sind zum größten Teil Geschichte: Was nicht für den Schiffbau früherer Zeiten benötigt wurde, fiel der Besiedelung und der Landwirtschaft zum Opfer. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, sich nach einer Frituur umzusehen und die berühmten belgischen Pommes Frites zu probieren.



Die Belgier rühmen sich, diese internationale Kartoffelspezialität erfunden zu haben, und tatsächlich werden hier mehr Pommes Frites verzehrt als in irgendeinem anderen Land der Welt – in der Schokostadt Brügge gibt es sogar ein Friet Museum. Die würzigen Stangen werden auch in Sternerestaurants gereicht, doch selbst die kleinste Frituur in einem roten Backsteinhäuschen im Hinterland hält sich bei der Zubereitung an die Traditionen, gegebenenfalls ergänzt durch eigene Spezialrezepturen oder Tricks.

Die Pommes Frites heißen in Flandern Friet und werden traditionell aus Bintje-Kartoffeln handgefertigt.  Ausserdem werden sie nicht in simplem Palmfett einfach frittiert wie hierzulande, sondern in einer Mischung aus Rinderfett und Pflanzenöl erst vorgebraten und dann ausgebacken. Der Durchmesser einer Friet liegt bei mindestens einem Zentimeter, und innendrin bleibt sie zart und saftig. Besonders lecker dazu schmeckt das flämische Schmorfleisch, das als Stoofvlees oder Stoofcarbonaden auf den meisten Frituurkarten steht und auf der Zunge zergeht. Zur Muschelzeit werden zudem Berge frischer Miesmuscheln gereicht, gern mit Currydip oder anderen Würzsossen.


Die Flandern Friet werden traditionell aus Bintje-Kartoffeln handgefertigt. (Bild: © Pictures news – fotolia.com)

Erdbeerbier und ein Glas mit drei Ohren

Ebenfalls berühmt sind die Belgier für ihre schier zahllosen Biersorten, zu denen auch unterschiedliche Glasformen gehören. Erdbeerbier, Himbeerbier oder Champagnerbier sind sicher nicht jedermanns Geschmack, doch allein bei der Auswahl an Stark-, Schwarz- und Dampfbieren werden auch Puristen schwach.

Antwerpen, die eigentliche Hauptstadt Flanderns, ist einerseits für ihren Autobahnring bekannt, auf dem der engagierte Autotourist mehrmals täglich an der Entfaltung des beeindruckendsten Verkehrskollapses des Landes mitwirken kann, sondern auch für ein Bierglas mit besonders großer Öffnung. Das bringen die Einheimischen gern in Verbindung mit einem weiteren Merkmal, das ihnen zugeschrieben wird, nämlich einem raschen und ausufernden Mundwerk. Die Logik dahinter: Die übergroße Trinköffnung des Antwerpener Bierglases, in Verbindung mit dem leckeren Antwerpener Bier, sei die einzige Möglichkeit, einen Antwerpener zuverlässig und für viele Sekunden zum Schweigen zu bringen.


Antwerpen, die eigentliche Hauptstadt Flanderns (Bild: © Pigprox – shutterstock.com)

Der Henkel eines Bierglases heißt im Flämischen „Oor“. Das in der Überschrift erwähnte Glas hat also eigentlich nicht drei Ohren, sondern drei Henkel, und wurde nach einer flämischen Geschichte erfunden, um einen Wirt mit beschränktem Verstand vor einer Blamage zu bewahren.


Traditionellen flämischen Architektur in Belgien (Bild: © leoks – shutterstock.com)

Als der König das Land durchreisen wollte, schickte er seine Diener voraus, um die Wirte entlang der Strecke auf den hohen Besuch vorzubereiten. Zur Etikette gehörte unter anderem, das Bierglas mit dem Henkel voraus zu reichen, damit der König es nicht am Rand oder Boden ergreifen müsse – und genau dieser Vorgang wollte dem Wirt aus der Geschichte nicht in den Kopf.

Die Diener des Königs waren kreativ und ließen ein Glas mit zwei Henkeln anfertigen. Doch damit kam der Wirt ebenso wenig zurecht: Er fasste das Glas stets mit beiden Händen, um keinen Henkel ungenutzt zu lassen. So erfanden die Diener in ihrer Verzweiflung das dreihenkelige Glas – und hofften nur noch, der Wirt möge den dritten Henkel beim Servieren in die richtige Richtung halten.


Erdbeerbier, Himbeerbier oder Champagnerbier sind sicher nicht jedermanns Geschmack. (Bild: © gabrielhector – fotolia.com)

Oostende, die Seestadt

Vor rund zehn Jahren etablierten Literaten das Projekt „De waarheid over de zee: literaire stempels aan de kust“ (Die Wahrheit über die See: Literarische Stempel an der Küste). An verschiedenen Stellen entlang der flämischen Nordseeküste wurden Literaturdenkmäler unterschiedlichster Art in die Umgebung integriert – etwa in Form von Eisenbuchstaben, über die der Wind den Strandsand weht, oder windschiefe Holzlettern.


Der Hafen in Oostende (Bild: © SL-Photography – shutterstock.com)

Seepromenade in Oostende (Bild: © Beketoff Photography – shutterstock.com)

Die alte Seestadt Oostende (Bild: © Stefan Ataman – shutterstock.com)

Fast wie das Herz der Stadt Oostende fühlt sich das Pauluspleintje an, ein kleiner, runder Platz vor einer der größten Stadtkirchen. Wer ein wenig verweilt und das Kopfsteinpflaster betrachtet, kann ein Gedicht von Anton von Wilderode entdecken. Es heißt Zee-Stad und ist des flämischen Dichters Hommage an Oostende:

En stad an zee is open an een kant

Vol wind geblazen uit het binnenland

En alle straten gonzend als een horen

Waarin de branding uitruist in rul zand.


Eine Stadt an der See ist offen an einer Seite

Voll Wind geblasen aus dem Binnenland

Und alle Straßen widerhallen wie ein Horn

In dem die Brandung ausrollt im losen Sand.

Beim Spaziergang zwischen den imposanten Fassaden Oostendes merkt man schnell, dass der Wind nicht aus dem Binnenland, sondern fast immer von der See her durch die Straßen des alten Nordseebades weht. In Wilderodes Bild jedoch steht der Wind für die Einflüsse aus Brüssel, die an der Gelassenheit und Ruhe der Städter stets ebenso gemächlich ausrollten wie an der Küste das Seewasser auf den sanft nachrutschenden Sandkörnern.

In Oostende liegt auch einer der großen Häfen der Kanalfähren. Wer hier an Bord geht und sich nach England einschifft, kann nach gut vier Stunden in der Ferne die weißen Klippen von Dover erblicken – einer der Hauptgründe, warum Belgien für viele Touristen hauptsächlich ein Durchfahrtsland ist.



Fazit: Wer nach Flandern fährt, sollte nicht versäumen, unterwegs so viele Frituurs wie möglich aufzusuchen und sich an den rustikalen Köstlichkeiten der flämischen Küche zu laben. Poetischer geht es bei einer Fahrt entlang der flämischen Nordseeküste zu, deren Herzstück die alte Seestadt Oostende ist.

 

Artikelbild: © Emi Cristea – shutterstock.com

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Mehr zu Christian Praetorius

Christian Praetorius, Jahrgang 1969, gelernter Controller und Logistiker mit jahrelanger Berufserfahrung. Seit 2012 gemeinsam mit seiner Frau Christine als freier Texter und Autor selbständig, erfolgreich und glücklich. Seine Kunden schätzen ihn für klare Worte, originelle Slogans und kreative Wortspiele ebenso wie für seine absolute Zuverlässigkeit und Kundenorientierung. Schreibt aus Berufung und mit Leidenschaft für die Sprache, die Botschaft und den Leser.

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