Grün, elefantenverliebt und verrückter als der Rest? Nantes ist anders
VON Birgit Brüggehofe Alle Länder Europa
Eingebettet in 15’500 Hektar Natur, sind es zur nächsten Grünfläche nie mehr als 300 Meter zu Fuss. Überall kann man pausieren, zum Beispiel in den 2012 angelegten elf Stations Gourmandes – öffentliche Naschgärten, in denen jeder Obst, Gemüse und Kräuter probieren kann. Aber damit hört das Umweltbewusstsein dieser Stadt nicht auf: Zwar ist Nantes nicht autofrei, aber die Auflagen für Autofahrer sind immens.
Ohnehin ist in Nantes alles schnell erreicht – ob mit der gut ausgebauten, preiswerten Strassenbahn oder über breite Radwege. Ein Nantes-Pass gewährt hier Vergünstigungen, auch für Stadttourbus und Minizug. Der Cours des 50 Otages durchquert als breite Hauptstrasse das Zentrum. Aus dem Nordwesten ragt als einziger Wolkenkratzer der Tour de Bretagne empor – mit ganzen 37 Stockwerken. Hat der Lift 144 Meter erklommen, bietet sich im 32. Stock eine überwältigende 360°-Rundumsicht auf Nantes und Loiremündung – von der Skylounge Le Nid, bestückt mit urigen Eierschalensesseln des Künstlers Jean Julien.
Altstadt: Historischer Charme, neu aufgelegt
Nantes gliedert sich in einen mittelalterlichen Stadtteil sowie zwei aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Leider sind nur vier Originalholzhäuser aus dem Mittelalter erhalten: Im Zweiten Weltkrieg zerbombt, hat man alles liebevoll rekonstruiert. Vor allem in den letzten Jahren hat diese Stadt ihr Gesicht gewandelt und nach der Werftschliessung Millionen Francs und Euro in die Neugestaltung von Nantes gesteckt – ein Projekt, das bis heute andauert.
Denkmalgeschützt ist auch das Jugendstilambiente des La Cigale, eines kunstvoll ornamentierten Brasserie-Klassikers am Place Graslin. In der beliebten Restaurantadresse, die 1895 vom Keramisten Emile Libaudière gestaltet wurde, wird bereits früh, vor acht, ein fürstliches Frühstück serviert. Standesgemäss, denn der Place Graslin zählt zu den drei Plätzen, die das Rückgrat des eleganten Nantes der Jahrhundertwende formieren. Entsprechend brummt der Platz: Kellner verteilen Teller mit Schellfisch, dazu trinkt man lokalen, sehr mineralisierten Muskadet
Jules Verne, da Vinci und ein Elefant
Nantes hat keinen Zoo. Aber das macht nichts, denn es hat einen Elefanten. Doch dazu später mehr. Nantes’ grüne Linie, entlang der Gehsteine aufgemalt, führt in sechs markierten Entdeckungstouren zu allem, was der neugierige Besucher nicht verpassen sollte. Auch über die Brücke zur Ile de Nantes, ins Herz des alten Werftviertels. Da! Er taucht auf, Nantes’ berühmtester Einwohner.
Dampf strömt aus seinem Rüssel, die grossen Lederohren flattern im Wind. Dieser Koloss ist dreimal so gross wie ein echter Elefant und besteht aus Metall, amerikanischem Tulpenbaumholz und Leder. Gemächliche drei Stundenkilometer langsam, kommt der majestätische Dickhäuter aus seiner stählernen Werfthalle. 50 Reiter, pardon, Passagiere und einen Gast im Rollstuhl an Bord, spaziert das zwölf Meter hohe Grautier entlang.
Das Geheimnis? Ein 450-PS-Motor und 62 Zylinder bewegen seine 48 Tonnen. Wer mitfährt, entdeckt das Getriebe im Inneren: Aha, so geht das mit den Beinbewegungen. Schon löst der Mechaniker das Trompeten aus, und weiter wandert das Tier wie ein vierstöckiges Haus – mit Fenstertüren, Balkonen und Terrasse. Kein Wunder, denn Nantes ist die Stadt von Jules Verne – und hat sich sein tierisches Spektakel acht Millionen Euro kosten lassen.
Glaubt man den feixenden Reitern ganz oben, war der Elefant jeden Cent wert. Es sei denn, es giesst wie aus Eimern, dann bleibt er lieber im Elefantenhaus. Schade, aber zu verschmerzen, denn auf der fantastischen Machines de l’Ile warten noch viele überlebensgrosse Maschinen-Lebewesen wie Riesenraupen, Reiher und fleischfressende Pflanzen. Und um die Ecke dreht sich ein Karussell voller skurriler Meeresgeschöpfe. Der Parc de Chantier wirkt wie eine Symbiose der Fantasiewelten von Jules Vernes, des mechanischen Universums Leonardo da Vincis und Nantes’ industrieller Vergangenheit.
Grosswerft wird Spielwiese
Imposante, aber auch leisere Installationen begleiten die Besucher von Nantes von der City über Flussmündungen bis zum Meer. Industrie und alte Schiffsrampen sind zu Restaurants, Kneipen und Kunstobjekten an der Loire mutiert. Hier tobt das Leben, Nantes flaniert entlang der Les Anneaux, 18 am Kai aufgereihten Metallringen. Wer hindurchblickt, fixiert ausgewählte Punkte am anderen Ufer, so der künstlerische Gedanke, nachts erstrahlen die Ringe rot, grün und blau über dem Fluss.
Dazu überrascht das ehemalige Werftareal aus Esplanaden, Parks, Terrassen und Spielplätzen, aber auch zahlreichen neuen Wohnflächen mit vielen weiteren Skurrilitäten. Eine durchkonzipierte Spielwiese, die nach den Parametern sozial, grün und kulturell komplett neu entstand: Nur noch ein paar Kräne erinnern an die einstige Grosswerft, aber auch sie hat man zur Memorandumskunst erhoben.
Noch nicht genug von Kuriositäten? Wer früh mit den Joggern aufsteht, kann sich auf dem Weg zu den Japanischen Gärten und zum Jardin des Plantes den erfrischenden Morgenwind um die Radlernase wehen lassen: Dort gibt es noch mehr erstaunlich-komische Installationen. Nantes ist anscheinend ein Wunderland, ein Vergnügungspark voller Überraschungen. Ja, man merkt Nantes sein innovatives, junges Stadtmarketing an: Hier wird Nantes’ Erbe aus Industrie, Natur und Geschichte lebendig gepflegt. Heraus kam eine urbane Kulturlandschaft – frisch und unvergleichlich experimentierfreudig.
Oberstes Bild: Nantes aus der Vogelperspektive (© Jibi44, Wikimedia, CC)[vc_text_separator title=“Wo liegt dieses Reiseziel?“ title_align=“separator_align_center“ color=“grey“][vc_gmaps link=“https://maps.google.de/maps?q=Nantes,+Frankreich&hl=de&sll=47.218371,-1.553621&sspn=0.187249,0.308647&oq=nantes&hnear=Nantes,+Loire-Atlantique,+Pays+de+la+Loire,+Frankreich&t=m&z=12″ size=“350″]