Kleine Weltstadt Zürich, Teil 5: Bühne und Sammelbecken gesellschaftlicher Unruhen
VON Natalia Muler Alle Länder Europa Schweiz
Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Zürich kräftig von der Arbeiterbewegung durchgeschüttelt. Bourgeoisie und Arbeiterschaft stiessen in Zürich besonders heftig aneinander, weil die Stadt der Standort vieler Industriebetriebe und gleichzeitig die Hochburg des reichen Bürgertums war.
Dies ist ein Bericht über die Stadt Zürich in mehreren Teilen. Hier das Inhaltsverzeichnis:
1. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Wo der Bus immer pünktlich kommt
2. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Warum Ausländer die Limmatstadt lieben
3. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Badespass mitten in der Stadt
5. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Bühne und Sammelbecken gesellschaftlicher Unruhen
6. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Jugend auf den Barrikaden
7. Teil: Kleine Weltstadt Zürich: Downtown Switzerland
Nicht umsonst wählte Wladimir Lenin, der Anführer der russischen Kommunisten, Zürich als seinen Aufenthaltsort in der Schweiz. Er wohnte von 1916 an bis kurz vor der Oktoberrevolution in Zürich und vollendete hier sein Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“. Auch heute noch erinnert eine Gedenktafel an sein Verbleiben im Haus in der Spiegelgasse 14, wo Lenin zur Untermiete gewohnt hat.
1928 gewannen die Sozialdemokraten zum ersten Mal die Mehrheit der Sitze im Stadtrat und führten zahlreiche Neuerungen in allen Bereichen des städtischen Lebens ein. Das „Rote Zürich“ wurde zum Beweis und Aushängeschild der reifen politischen Fähigkeiten der Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit.
Doch rückten alle politischen Auseinandersetzungen wegen des immer stärker werdenden nationalsozialistischen Deutschlands mehr und mehr in den Hintergrund. Gerade in Zürich wurden die Grundsätze der Geistigen Landesverteidigung 1939 im Rahmen der Landi, der periodisch durchgeführten nationalen Landesausstellung, am wirkungsvollsten zum Ausdruck gebracht.
Als Geistige Landesverteidigung wurde die politisch-kulturelle Bewegung bezeichnet, die vor allem „schweizerische“ Werte, wie Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der Bürger, kulturelle Besonderheiten und Viersprachigkeit im Gegensatz zu Hitlerdeutschland und später auch in den Zeiten des kalten Krieges verteidigt und promoviert hat. Die zentrale Idee der Geistigen Landesverteidigung war die Erschaffung einer Volks- oder Schicksalsgemeinschaft, einer geschlossenen schweizerischen Nationalidentität. Der „Landigeist“ zeigte sich 1939 während der Landesaustellung in Zürich so machtvoll, dass er vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges den Schweizern ein Gemeinschaftsgefühl verliehen hatte, gegen alle Ansprüche Deutschlands standhaft bleiben zu können.
Die Jugendbewegung brachte 1968 neue Unruhen in die Stadt, deren Leben in der Nachkriegszeit sowieso schon durch zahlreiche Protestbewegungen und –aktionen gekennzeichnet war. Im Juli 1968 kulminierten die Jugendunruhen in einer geschichtsträchtigen Demonstration, bekannt als Züricher Globus-Krawall. Den Anlass zur Demonstration gab der Beschluss des Züricher Stadtrates, das leer stehende provisorische Gebäude des Warenhauses „Globus“ beim Züricher Hauptbahnhof nicht für ein autonomes Jugendzentrum zur Verfügung zu stellen.
Die Demonstration ging sehr schnell in eine heftige Auseinandersetzung zwischen den jugendlichen Demonstranten und der Polizei über. Mehr als anderthalbhundert Verhaftungen hatte der Globuskrawall zur Folge, und es gab zahlreiche Verwundete auf beiden Seiten. Was aber vor allem Schlagzeilen machte, war das Verhalten der Polizei während des Tumults, der auch den Namen „Züricher Nacht der Gewalt“ bekam. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter auch der Autor Max Frisch, verurteilten im „Züricher Manifest“ die Gewalttätigkeit der Polizei und unterstützten den Wunsch der Jugend nach einem Raum für persönliche und soziale Entwicklung.
Der Globuskrawall erwies sich als ausgesprochen folgenreich. Zum einen wurde er zum Auftakt der 68er-Bewegung in der Schweiz. Des Weiteren wurde er als Kulturschock aufgenommen und führte zu grossen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Zürich und dann auch im ganzen Land. Die Kritik an den Übergriffen der Polizei auf die Demonstranten führte zu Verbesserungen bei der polizeilichen Ausbildung und der Ausrüstung für den Ordnungsdienst, was die Zahl der Verletzten bei den späteren Unruhen viel niedriger ausfallen liess.
Und zuletzt ging auch die Stadt auf die Forderungen der Jugend ein und erlaubte 1970 im Lindenhofbunker die Einrichtung des autonomen Jugendzentrums. Das Experiment dauerte aber nur 68 Tage, nach welchen das Zentrum von den Obrigkeiten definitiv geschlossen wurde. Der Grund für eine so rasche Schliessung war das nicht mehr kontrollierbare Drogenproblem in der „Autonomen Republik Bunker“, die sich kometenhaft zum Anlaufpunkt für Drogensüchtige nicht nur aus Zürich, sondern auch aus der ganzen Schweiz entwickelt hatte.
Der Ort und der Anlass des Globuskrawalls ist heute noch neben dem Züricher Hauptbahnhof zu sehen. Das Globusprovisorium sollte schon längst abgerissen werden. Jedoch ist das provisorische Gebäude politisch so umstritten, dass es immer noch an der gleichen Stelle steht und eine Filiale der Ladenkette Coop und einige Büros beherbergt. Somit wird wieder einmal die alte Wahrheit bestätigt, dass nichts länger hält als ein Provisorium.
Oberstes Bild: Züricher Altstadt und die Limmat (Bild: Christian Horcel, Wikimedia, CC)[vc_text_separator title=“Wo liegt dieses Reiseziel?“ title_align=“separator_align_center“][vc_gmaps type=“m“ zoom=“14″ link=“https://maps.google.com/maps?q=Z%C3%BArich,+Suiza&hl=es&ie=UTF8&sll=37.0625,-95.677068&sspn=54.533615,79.013672&oq=zuri&hnear=Z%C3%BArich,+Suiza&t=m&z=12″ size=“350″]