Madagaskar –  Radeln im Land der Lemuren

„Autsch, das war ein Stein“ – „Was im Essen?“ – „Ja, im Reis!“

Gebackener Reis ist Standard auf Madagaskar. Leider muss man höllisch aufpassen, denn fast bei jedem Mahl kaut man irgendwann auf Steine. Kulinarisch ist das Land nicht gerade ein Highlight, aber angesichts der armen Bevölkerung bin ich froh, dass wir überhaupt etwas bekommen.

Wie so häufig in armen Gegenden sind die Menschen ganz besonders herzlich. Vor allem die Kinder versüssen uns das Radlerleben jeden Tag aufs Neue.

Ihre selbst gebastelten Spielzeuge aus Fischdosen und Flaschendeckel machen mich einerseits glücklich. Denn hier spielen Kinder noch vergnügt und unbelastet mit den primitivsten Mitteln. Andererseits bin ich teils schockiert über die pure Armut, in der diese Kinder leben. Ihre Kleidung spricht oftmals Bände.

Reisterrassen soweit das Auge reicht. Wunderschön schimmern sie im Abendlicht. Die Strassen menschenleer. Eine Traumstrecke durchs Hochland von Madagaskar, die wir unter unsere Räder nehmen.


Reisterrassen soweit das Auge reicht.

In einem der vielen Nationalparks sind wir auf der Pirsch nach einem Uroplatus. Das ist ein Gecko, der seine Hautfarbe so gut an die Umgebung anpassen kann, dass man ihn wirklich nur auf den dritten Blick erkennt. Wir haben Riesenglück und entdecken eines dieser Urviecher an einem Baumstamm im dichten Dschungel.

Lemuren springen über unsere Köpfe hinweg und schauen neugierig zu uns herunter. Es gibt sie in allen erdenklichen Grössen und Farben. Putzig sehen sie aus, ja irgendwie zum Knuddeln.


Lemuren springen über unsere Köpfe hinweg und schauen neugierig zu uns herunter.

Kurz vor dem Morgengrauen hören wie ihn bereits: den Indri Indri. Seine Rufe durchdringen den ganzen Urwald, sogar bis zu unserem kleinen Urwaldhostelzimmer. Er ist der grösste der Lemuren und lebt im Osten des Landes. Schwarz-weiss gefleckt, springt er von Ast zu Ast und brüllt in die Umgebung hinaus. Absolut beeindruckend und unvergesslich.

Ein Mann sitzt am Strassenrand und sucht vergeblich nach einem Flicken für seinen Reifen. Der Mantel war bereits zig Mal geflickt und die bisherigen Flicken sehen aus, nunja, eben wie aus Afrika.

Frank packt unser Flickzeug aus und während er seelenruhig die fünf Minuten abwartet, bis der Kleber wirkt, um dann den Flicken aufzukleben, wird der Mann sichtlich nervös. Er deutet immer wieder auf den Flicken. Frei nach dem Motto: „Jetzt kleb‘ doch endlich den Flicken drauf.“

Doch wenig später radelt er freudestrahlend davon.

„Wo ist meine Tasche?“

„Schau mal, das Fenster ist eingeschlagen. Hier hat jemand eingebrochen“

„Was fehlt denn alles?“

„Irgendwie waren die nicht besonders schlau. Meine Kamera ist noch da, auch alles andere Wertvolle haben sie hier gelassen.“

Am Ende fehlen nur Franks Klamotten. Die Unterhosen, die er sich auf dem Markt als Ersatz gekauft hat, sind ganz besonders sexy und ich kann mir mein Lachen kaum verkneifen.

Leckere Mangos gibt es eimerweise am Strassenrand zu kaufen. Die besten Mangos der Welt und spottbillig. Ich esse so viele davon, dass ich am Ende fast brechen muss. Sie sind zuckersüss und butterweich.


In Madagaskar spielen Kinder noch vergnügt und unbelastet mit den primitivsten Mitteln.

Ein kleines Mädchen lädt uns ins Haus ein. Wobei von einem Haus eigentlich nicht wirklich die Rede sein kann. Es ist mehr ein Lagerraum aus Lehm, doch lebt die ganze Familie hier.

Wir sitzen zusammen am kleinen Feuer und versuchen zu kommunizieren. Sie backt eine Art Brot in der Pfanne und lässt uns davon probieren. Die halbe Dorfjugend steht am Türpfosten. Einerseits sind sie sehr unsicher und schüchtern, aber andererseits amüsieren sie sich herzlich über uns Weisse. Die Räder werden dabei immer wieder inspiziert und lautstark kommentiert.

Fussball ist bei den Jungs natürlich total angesagt. Mit einem völlig demolierten Ball kicken sie barfuss auf einer Holperpiste in ein selbstgezimmertes Tor.



Je weiter wir gen Süden kommen, desto mehr verändert sich die Landschaft. Aus dem saftigen Grün wird eine braune, trockene Weite, die aber nicht minder beeindruckend ist. Nein, ganz im Gegenteil. Granitriesen begleiten uns in den unterschiedlichsten Formen und Farben.

“Du glühst ja. Du hast hohes Fieber! Warte, ich habe ein Thermometer dabei.“

„40 Grad Fieber – wir müssen sofort zum Arzt.“ „Nein lass mich schlafen.“ „Einen Teufel werde ich tun, wenn Du Malaria hast, dann zählt jede Stunde“ beharre ich. „Ich kann nicht“, meint Frank im Halbschlaf. „Auf jetzt. Ich frage auf der Strasse wo es eine Klinik gibt. Du brauchst einen Malaria-Test.“

In der stockfinsteren Nacht machen wir uns mit einer Rickshaw auf den Weg in die Klinik. Es ist weit nach Mitternacht und ich befürchte, dass wir in diesem Kaff niemanden mehr antreffen werden.

Doch wir haben Riesenglück, denn es brennt Licht in der Klinik. Der Arzt macht zudem einen guten Eindruck. Spricht akzeptables Englisch und hat im Ausland studiert.

„Das sieht mir nicht nach Malaria aus. Wir werden das aber testen“, kommentiert der Arzt Franks Zustand, der kaum die Augen offen halten kann und wirklich am Ende ist. Bevor der Mann in Weiss zusticht, inspiziere ich aber sicherheitshalber nochmals alle Instrumente. Sicher ist sicher.

Frank hat sich durch seine vielen Moskitostiche und die feucht-heissen Temperaturen eine ernsthafte Hautentzündung eingefangen, die wir beide unterschätzt haben, die aber von einem auf den anderen Moment ein so hohes Fieber verursacht hat. Mit Antibiotika werden wir wieder ins Bett geschickt.

Am nächsten Tag esse ich Fisch in einem kleinen Strand Restaurant. Kaum später bekomme ich Bauchkrämpfe und Durchfall und verbringe die ganze Nacht auf der Toilette.


Zelten in einem Dorf in Madagaskar.

Reichlich gebeutelt und trotz allem um viele Erfahrungen reicher lassen wir unsere Räder auf einen uralten Bus aufs Dach montieren und uns die 1200 km, die wir geradelt sind wieder zurück nach Antananarivo in die Hauptstadt fahren.

Beide haben wir einige Kilos abgenommen und freuen uns auf nichts mehr als auf ein gutes Abendessen in einer sauberen, wohl temperierten und moskitofreien Umgebung. Ohne Steine oder Bakterien, dafür aber mit viel Geschmack.

 

Bilder: © Heike Pirngruber

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Mehr zu Heike Pirngruber

Heike Pirngruber (43) radelt seit Mai 2013 alleine von Deutschland in Richtung Australien. 27 Länder hat sie dabei auf ihrem Weg bereits durchstreift. Sie ist gelernte Fotografin und Kamerafrau und führt über ihre Radweltreise einen faszinierenden Blog auf www.pushbikegirl.com.

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