Terschelling – Insel der harmonischen Gegensätze
VON Theo Jannet Alle Länder Europa
Stellen Sie sich vor, Sie werden Zeuge dieser Szene: Am Hafen in einem Café sitzt abends ein Mann, elegant gekleidet wie ein Banker. Er hat seine Beine Richtung Hafenkante ausgestreckt und raucht eine Zigarette. Da nähert sich ein Punk mit rot gefärbtem Irokesenhaarschnitt, etlichen Piercings und Tattoos. Er zögert etwas, spricht den Banker, den er nicht kennt, dann doch an, woraufhin dieser nach einem Päckchen Tabak in der Tasche seines Sakkos greift und es dem Punk reicht.
Dieser zieht einen Stuhl heran, setzt sich und dreht sich eine Zigarette. Dabei wechseln die beiden ein paar Worte. Der Punk lässt sich Feuer geben, und dann sitzen diese beiden Männer mit ihren Zigaretten und schauen im Abendlicht über den Hafen auf das Meer hinaus. Natürlich könnte diese Szene überall auf der Welt spielen. Es ist aber nicht wirklich überraschend, dass sie sich auf der niederländischen Insel Terschelling ereignet hat.
Vielfalt von West bis Ost
Wer mit dem Schiff im Hafen von Terschelling ankommt, sieht meist zuerst eine Flagge der Insel: Diese hat fünf waagerechte Streifen mit den Farben Rot, Blau, Gelb, Grün und Weiss. Ein sehr bekanntes Gedicht über Terschelling erklärt diese Zusammenstellung so:
Rot sind die Dächer,
Blau der Himmel,
Gelb der Strandhafer,
Grün das Gras und
Weiss, so ist hier der Sand.
Der Besucher weiss so schon recht gut, was ihn erwartet: Geselligkeit und Unterhaltung, auch ein buntes Nachtleben, vor allem im Westteil der Insel um den Hafen herum. Bei schönem Wetter unter blauem Himmel kann man lange wandern, ohne einem Menschen zu begegnen, über von Strandhafer durchzogene Sanddünen bis ganz in den Osten der Insel. Mit etwas Glück kann man dort auch noch Seehunde beobachten.
Etwas Inselgeschichte
Terschelling scheint nach Funden zu urteilen seit etwa 850 besiedelt zu sein. Auf einem Hügel beim heutigen Tryp stand einmal eine Kirche aus Holz gebaut. Dieser Hügel wurde in Folge als Friedhof genutzt und wird bis heute Strieperkerkhof genannt. Durch starke Fluten veränderte sich die gesamte Landschaft. Das Wattenmeer bildete sich aus. Um eine Insel wie Terschelling bewohnbar zu halten, musste man Deiche bauen. Dies ist bis heute so geblieben.
Eine wechselhafte Geschichte mit unterschiedlichen politischen Herrschern zieht sich durch Jahrhunderte: 1666 etwa überfielen die Engländer Terschelling. Im Zweiten Weltkrieg waren es die Deutschen, die Terschelling zu einem Teil des Atlantikwalls machten. Heute wohnen fast 5000 Niederländer auf der sich auf 30 Kilometer Länge hinstreckenden Insel.
Natur, wohin man schaut
Auf über 70 Kilometern Radweg kann man die Insel mit einem Fiets erkunden. Auszuleihen sind die bequemen Drahtesel überall. Unvermeidlich stösst man auf Sandstrand. Dieser zieht sich über 30 Kilometer vor allem an der Nordküste längs. Stellenweise ist er über 500 Meter breit. Je weiter man nach Osten kommt, umso mehr hat man auch im Sommer manchmal ein grosses Stück Strand ganz für sich allein. Dies etwa, so ein Insidertipp, am Strand am Pfahl 18.
Wer mag, kann auch gerne nacktbaden, die Besucher von Terschelling und die Inselbewohner sind in der Regel sehr lässig und tolerant. Der meist stetige Wind lädt zu Aktivitäten wie Windsurfen oder Kitesurfen ein. Aber auch mit einem Lenkdrachen kann man sich, ob gross oder klein, am Strand gut beschäftigen. Überhaupt ist die Insel auch wunderbar für Familien geeignet.
Ob kleine Pension oder Ferienhaus, beides ist machbar, sollte im Sommer aber frühzeitig gebucht werden. Eine andere und sehr abenteuerliche Art, sich Terschelling zu erschliessen, ist auf dem Rücken eines Pferdes. Das ist in Gruppen und auch für Anfänger ganz gut möglich. Ein Ausritt am Strand ist ein wunderbarer Start für ein noch folgendes Nachtprogramm.
Die Nacht zum Tag machen
Der 400 Jahre alte Leuchtturm Brandaris grüsst die ankommenden Gäste und gibt auch Geleit beim Abschied. Nachts wirft er sein langes Lichtband kreisend über die Insel. Vor allem in den Sommermonaten Juli und August zieht es viele feierlaunige junge Menschen nach Terschelling. Dann haben viele Bars, Klubs und Discos bis zwei Uhr morgens geöffnet.
Hier kann, wer will, die ganze Nacht feiern. Jeder findet seinen Platz und seine Musik: Ob Hip-Hop, Dance, House oder guter alter Rock, die Ohren und die Füsse werden einem zeigen, wohin man passt. Vor allem in Westterschelling und Midsland ist man gut aufgehoben, wenn man laut und lang und heftig durch die Nächte ziehen möchte. Es gibt auch international bekannte Künstler, die gelegentlich in Terschelling auftreten.
Ein fester Programmpunkt im Jahr ist das sogenannte Oerol: Vom 13. bis 22. Juni werden auf der Insel an über 70 verschiedenen Orten Künste jeglicher Art präsentiert: Musik, Theater, Strassenkunst, Malerei – die Insel scheint Kopf zu stehen in dieser Zeit. Auch wer alleine nach Terschelling reist, findet dann schnell Anschluss. Um den Kopf wieder frei zu bekommen und einmal Ruhe zu finden, laden viele schöne Cafés und Bars ein. Vielleicht sehen Sie dann auch den Banker, der dem Punk eine Zigarette von seinem Tabak drehen lässt.
Oberstes Bild: Die niederländische Nordseeinsel Terschelling mit ihrem berühmten Leuchtturm (© Arch, Wikimedia, CC)[vc_text_separator title=“Wo liegt dieses Reiseziel?“ title_align=“separator_align_center“ color=“grey“][vc_gmaps link=“https://www.google.ch/maps?q=Terschelling,+Niederlande&hl=de&sll=46.813187,8.22421&sspn=2.109043,5.410767&oq=Terschelling&hnear=Terschelling,+Friesland,+Niederlande&t=m&z=11″ size=“350″]