Wo Bulgarien alpin ist – im Nationalpark Pirin

Bulgarien als Reiseland ist bei uns vor allem wegen seiner Schwarzmeerküste, vielleicht auch noch mit Blick auf die Hauptstadt Sofia bekannt. Die Regionen im Inneren des Balkanstaates werden dagegen ausserhalb des Landes noch wenig touristisch vermarktet. Dabei hat Bulgarien dort durchaus eindrucksvolle Landschaften zu bieten – zum Beispiel den Nationalpark Pirin.

Das Pirin-Gebirge erhebt sich im Südwesten des Landes und liegt mitten in einer Region, die an die beiden Nachbarn Griechenland und Mazedonien angrenzt. Es erreicht alpine Höhen und bietet Aussichten, die den Vergleich mit anderen Hochgebirgen des europäischen Kontinents nicht scheuen müssen. Ein Besuch im Nationalpark Pirin ist ein wenig wie eine Entdeckungsreise in ein unbekanntes Land.

Namensgebend: Perun, der slawische Donnergott

Der Name „Pirin“ leitet sich von „Perun“ ab – einer Gestalt der altslawischen Mythologie, die noch aus der Zeit vor der Christianisierung stammt. Perun war als Gott des Blitzes, Donners und Gewitters die oberste Gottheit der heidnischen Bulgaren und anderer slawischer Völker – wenn man so will, eine Art slawischer Zeus. Wie der Olymp in Griechenland als Göttersitz gedeutet wurde, mass man vielleicht auch dem Pirin-Gebirge eine solche Funktion bei. Das mag die Benennung erklären.

Im Vergleich zum Alpengebiet hat das Pirin-Gebirge eher bescheidene Ausmasse. In der Ost-West-Ausdehnung ist es nicht breiter als 25 Kilometer. In der Längsrichtung erstreckt es sich über rund 40 Kilometer von Nordwesten nach Südosten. Der Nationalpark umfasst insgesamt eine Fläche von circa 400 Quadratkilometern und schliesst auch niedrigere Lagen mit Mittelgebirgscharakter ein. Für diesen begrenzten Raum bietet das Gebirge eine erstaunliche Vielzahl an hohen Gipfeln. Der grösste Berg – der Wichren – reicht mit 2914 Metern fast an die Dreitausendermarke heran. 20 weitere Gipfel weisen mindestens 2700 Höhenmeter auf.


Der grösste Berg des Pirin-Gebirges, der Wichren, ist 2914 Meter hoch. (Bild: Pudelek, Wikimedia, CC)

Wintersport und -trubel rund um Bansko

Ganz vom Tourismus unberührt ist der Pirin-Nationalpark nicht. Es gibt hier einige Ziele und Orte, die im Land seit jeher einen Namen haben und gerne besucht werden. Das Gebiet um den Wintersportort Bansko und den Wichren ist dabei der touristisch am meisten entwickelte Teil. Bansko liegt am nordöstlichen Rand praktisch zu Füssen des majestätischen Gipfels und kann auf eine lange Tradition als Erholungs- und Fremdenverkehrsort zurückblicken. Zumindest in Bulgarien ist Bansko ein Begriff.

Der Reisende findet hier mittlerweile eine ausgebaute touristische Infrastruktur, die durchaus mit anderen Skizielen mithalten kann. Auf Höhen zwischen 1000 und 2560 Metern wurden zusammen 75 Kilometer Pisten angelegt, es gibt mehrere Sessellifte und Seilbahnen. Der Ort selbst bietet seinen Gästen eine Vielzahl an Übernachtungsmöglichkeiten und alles, was die Ferien kurzweilig macht – nicht immer zur Freude derjenigen, die sich um den Naturschutz in einem Nationalpark sorgen. Mehrfach in der Vergangenheit war Bansko Austragungsort internationaler Wintersport-Veranstaltungen.

Das Städtchen ist gleichzeitig ein Zentrum bulgarischer kultureller Identität. Im 19. Jahrhundert machte man sich hier für Nationalbewusstsein und Unabhängigkeit von der osmanischen Herrschaft besonders stark. Die Dreifaltigkeits-Kirche als Wahrzeichen der Stadt ist in dieser Zeit entstanden. Mehrere Museen und Ausstellungen im Ort erinnern an die Wiedergeburt Bulgariens im vorletzten Jahrhundert.


Nationalpark Pirin im Winter (Bild: Deyan Vasilev, Wikimedia, CC)

Seen, Gipfel und Wälder im Nationalpark

Ausserhalb des touristischen Hotspots geht es wesentlich gemächlicher zu. Der Nationalpark bietet noch viel unberührte Berglandschaft. Als einer der schönsten Teile gilt das nördliche Gebiet im Bereich des Todorka-Gipfels. Hier haben sich etliche Seen mitten in der Bergwelt erhalten, die ihre Entstehung den längst nicht mehr vorhandenen Gletschern aus der letzten Eiszeit verdanken. Sie geben der Landschaft ein besonders malerisches Antlitz, das tiefe Blau der Gewässer verbindet sich mit dem hellen Felsgestein und dem Grün der Wälder zu einer harmonischen Farbkomposition. Insgesamt weist der Nationalpark über 160 grössere und kleinere Seen auf, viele davon sind besonders fischreich.


Perleshki See im nördlichen Teil des Nationalparks Pirin (Bild: Deyan Vasilev. Wikimedia, CC)

Der Todorka ist zwar nicht der höchste, aber zweifelsohne einer der eindrucksvollsten Gipfel der Region. Aus der Ferne betrachtet wirkt er wie eine massive Pyramide aus Fels, der die Spitze fehlt. Genau genommen besteht er aus drei nahezu gleich hohen Gipfeln, die durch ihre unmittelbare Nachbarschaft wie ein einheitliches Ganzes erscheinen.


Todorka-Gipfel (Bild: Evgeni Dinev, Wikimedia, CC)

Die Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen gilt als besonderer Schatz des Nationalparks. Über 300 verschiedene Tierarten sind im Pirin-Gebirge zu finden, darunter auch einige endemische. Zum Bestand gehören unter anderem Braunbären und Wölfe sowie diverse Adler und Falken. Die Pflanzenwelt wird durch die jeweilige Höhenlage geprägt. In niedrigeren Lagen dominieren Wälder, wobei Nadelgehölze vorherrschend sind. Rund 80 % der Parkfläche werden von Wald bedeckt. Mit der Bajkuschewa Mura verfügt das Pirin-Gebirge über den ältesten Nadelbaum Bulgariens. Die Kiefer ist über 1300 Jahre alt und eine besondere Attraktion. Je höher die Lage wird, umso spärlicher der Baumwuchs und umso karger die Vegetation. In Mittellagen zeigt sich der Pflanzenwuchs typisch subalpin, um dann in alpinen Bewuchs mit Gräsern und Zwergsträuchern überzugehen. In Gipfellagen ist meist nackter Fels vorherrschend.


Rund 80 % der Parkfläche werden von Wald bedeckt. (Bild: Esther Westerveld, Wikimedia, CC)

Das Gebiet ist bislang nur ansatzweise für Wandern und Klettern erschlossen. Es gibt in verschiedenen Bereichen des Parks markierte Wanderrouten und ein gutes Dutzend ausgebauter Hütten mit Übernachtungsmöglichkeiten und Bewirtschaftung. Sie sind zum Teil miteinander vernetzt, so dass Wanderungen von Hütte zu Hütte gut zu realisieren sind. Es ist wahrscheinlich die beste Möglichkeit, die Naturvielfalt des Pirin-Gebirges zu entdecken. Ein zentrales Informationszentrum für Besucher des Nationalparks ist in Bansko eingerichtet worden. Daneben gibt es regionale Parkbüros in verschiedenen Orten des Gebietes.


Wanderweg in Pirin (Bild: Pudelek, Wikimedia, CC)

Sandanski und die Museumsstadt Melnik

Für Touren und Ausflüge in das Pirin-Gebirge bieten sich mehrere denkbare Ausgangspunkte an, zum Beispiel die Stadt Raslog oder das Dorf Dobrinischte im Umfeld von Bansko – beide ebenfalls Wintersportorte – oder die Stadt Goze Deltschew im Süden. Ein reizvoller Startpunkt ist der Kurort Sandanski im Südwesten des Gebiets. Sandanski ist einer der ältesten Siedlungsorte Bulgariens und existierte bereits in der Antike. Das archäologische Museum der Stadt zeigt interessante Fundstücke aus dieser Zeit. Heute ist die Stadt wegen ihrer Thermal- und Mineralquellen ein beliebtes Ziel von Kurgästen.


Stadt Melnik (Bild: http://dupnitsa.net/, Wikimedia, GNU)

Eine ausserordentliche Sehenswürdigkeit in der Nähe von Sandanski ist die Stadt Melnik. Sie besitzt Stadtstatus, obwohl hier kaum mehr als 200 Menschen leben. Früher waren es einmal wesentlich mehr, damals wurde Melnik überwiegend von Griechen bewohnt. Heute sind viele Häuser, Kirchen und Kapellen des Ortes Kulturdenkmäler. Auch die Ruinen der Festung Melnik gehören dazu. Etwas ausserhalb liegt das Kloster Roschen, es ist eines der bedeutendsten und altehrwürdigsten bulgarischen Klöster. Ein Besuch beider Ziele lohnt sich auch wegen der einzigartigen landschaftlichen Lage. Die „Pyramiden von Melnik“ sind eine eigenartige Sandsteinformation, die eine bemerkenswerte Kulisse für das Kloster und die Museumsstadt bildet.



Durchaus erreichbar

Eine Reise in den Nationalpark Pirin bietet die Möglichkeit, eine der schönsten Naturlandschaften des Balkanstaates kennenzulernen und dabei gleichzeitig einiges an bulgarischer Kultur und Geschichte zu entdecken. So entlegen, wie es scheint, ist das Pirin-Gebirge nicht. Von der Hauptstadt Sofia aus sind es rund 150 Kilometer bis hierher, vom griechischen Thessaloniki aus beträgt die Entfernung gut 230 Kilometer. Mit einem Auto ist es kein Problem, das Pirin-Gebirge zu erreichen.

 

Oberstes Bild: © Deyan Vasilev, Wikimedia, CC

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem großen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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