Ein nicht ganz einfaches Verhältnis - EU-Fluggastrechte und die Schweiz

Das Fliegen ist heute fast so selbstverständlich wie Busfahren oder das Fahren mit dem Zug geworden. Und meistens laufen Flüge ja auch reibungslos. Doch manchmal kommt es zu Leistungsstörungen, die für die Betroffenen in der Regel mit Zeitaufwand, Ärger und Kosten verbunden sind.

Verständlich, dass man als Fluggast im Falle des Falles entschädigt werden möchte. Das gilt auch für Schweizer Passagiere. Die erleben allerdings gelegentlich ärgerliche Überraschungen, wenn es um ihre Rechte geht. Denn die Rechtslage ist komplizierter, als manche glauben.

Das Luftverkehrsabkommen Schweiz – EU

Dabei scheint die Situation eigentlich klar. Am 1. Dezember 2006 hat die Schweiz ein Luftverkehrsabkommen mit der damaligen Europäischen Gemeinschaft – heute EU – abgeschlossen, in dem es u.a. auch um die Übernahme der europäischen Vorschriften für Fluggastrechte ging. Danach gelten die Vorgaben der entsprechenden europäischen Verordnung 261/2004/EG prinzipiell auch für die Schweiz.

Die Verordnung sieht im Detail Entschädigungsregelungen für Passagiere im Falle von

  • Nichtbeförderung, zum Beispiel weil ein Flug überbucht war,
  • Flugausfällen wegen Annullierung und
  • grösseren auftretenden Verspätungen vor.

In diesen Fällen sind die möglichen Ansprüche von Fluggästen im Einzelnen geregelt. Wird zum Beispiel ein Flug annulliert, haben Passagiere die Wahl, ob sie sich das Ticket erstatten lassen, kostenlos zu ihrem Startpunkt zurückfliegen oder sich nächstmöglich bzw. zu einem späteren Wunschtermin zum Ziel weiterbefördern lassen. Zusätzlich können sie eine Entschädigung verlangen, deren Höhe nach der Länge der Flugstrecke gestaffelt ist. Auch bei den anderen Fällen von Leistungsstörungen gibt es solche differenzierten Regelungen, die jeweils an die Situation angepasst sind.


Das Luftverkehrsabkommen Schweiz – EU gilt in manchen Fällen nur in Theorie. (Bild: Joe Gough / Shutterstock.com)


Welche Flüge sind erfasst?

Der Geltungsbereich der EU-Vorschrift erfasst alle Flüge von Flughäfen in der Europäischen Union. Ausserdem sind auch Flüge erfasst, die von Drittstaaten aus starten, einen Flughafen innerhalb der EU als Ziel haben und von einer Fluggesellschaft mit EU-Sitz durchgeführt werden. Analog müsste diese Vorschrift aufgrund des Schweizer Abkommens mit der Europäischen Gemeinschaft eigentlich auch für die Schweiz gelten. Dies ist zum Beispiel die Auffassung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt BAZL. Doch hier fangen die Auslegungsfragen an. Längst nicht jede Fluggesellschaft, auch nicht die SWISS, teilt diesen Standpunkt.

Sondersituation am Flughafen Basel

Dabei ist zu differenzieren. Klar sind die Verhältnisse am Flughafen Basel-Mulhouse. Der Flughafen liegt auf französischem Territorium und wird von einem schweizerisch-französischen Konsortium betrieben. Rechtliche Grundlage für die Errichtung war ein 1949 zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossener Staatsvertrag, in dem ausdrücklich festgelegt wurde, dass auf dem Gebiet des Flughafens Basel französisches – und heute in der Folge – EU-Recht gilt. Hier greift also die Fluggastrechte-Verordnung uneingeschränkt.

Interpretationen zum Geltungsbereich

Bei den anderen Schweizer Flughäfen wird von Fluggesellschaften argumentiert, dass das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU als bilaterale Vereinbarung nur für Flüge zwischen der Schweiz und dem EU-Raum gelten könne. Danach wären zum Beispiel Flüge von der Schweiz (ausser Basel) auf den amerikanischen Kontinent, nach Afrika oder Asien nicht erfasst. Es hat vor diesem Hintergrund schon häufiger Auseinandersetzungen um den Geltungsbereich des Abkommens für die Schweiz gegeben, in vielen Fällen haben die Fluggesellschaften auf Kulanzbasis zwar Entschädigung geleistet, ohne aber eine rechtliche Pflicht dazu anzuerkennen. Sie können sich dabei sogar auf ein – allerdings umstrittenes – Urteil des Zivilgerichts Basel stützen, in dem dieser begrenzte Geltungsbereich bestätigt wurde. Das Gericht stützte sich auf ein juristisches Gutachten, dass von einer Professorin erstellt wurde, die auch im Dienst der SWISS gestanden hatte.

EuGH-Rechtsprechung auch für Schweiz relevant?

Und noch in einer anderen Hinsicht besteht Rechtsunsicherheit. Der Europäische Gerichtshof EuGH hat verschiedentlich in der Vergangenheit verbraucherfreundliche Urteile bei Streitfragen im Zusammenhang mit der Fluggastrechte-Verordnung gefällt. So ist die mögliche Nichtleistung einer Entschädigung bei Streiks enger gefasst worden oder die Entschädigung bei Verspätungen wurde an die Regelung bei Annullierungen angepasst. Auch hier wird argumentiert, dass solche Urteile für die Schweiz nicht gelten, da der EuGH aufgrund der Nicht-Mitgliedschaft keine für die Schweiz verbindliche Rechtsprechung vornehmen könne. Juristische Experten sehen das differenziert: Danach sind EuGH-Urteile, die bereits bei Abschluss des Luftverkehrsabkommens existierten, auch für die Schweiz gültig, da sie de facto auch Grundlage der Vereinbarung waren. Bei späteren Urteilen müsste eine Übernahme für die Schweiz jeweils im Einzelfall geklärt werden, was bisher nicht durchgängig geschehen ist.

Unklare Situation

Das Fazit lautet: obwohl die Schweiz das EU-Recht im Hinblick auf die Fluggastrechte übernommen hat, ist die Frage des Geltungsbereichs bisher nicht hinreichend klar. Eine solche Klarstellung ist sicher wünschenswert. Fluggäste mit Startpunkten oder Zielen ausserhalb der EU oder der Schweiz müssen daher nach wie vor mit Schwierigkeiten rechnen, wenn es um ihre Fluggastrechte geht. Ggf. empfiehlt sich juristische Beratung und Hilfe, wenn berechtigte Forderungen nicht auf dem Kulanzweg reguliert werden können.

 

Oberstes Bild: Schweizer Fluggäste müssen oft mit Schwierigkeiten rechnen. (© Casper1774 Studio / Shutterstock.com)

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