Istanbul einmal anders – die Prinzeninseln

Die Millionenmetropole Istanbul ist mit ihren Moscheen, Palästen und Museen ein begehrtes Ziel für Städtereisen und immer einen längeren Aufenthalt wert. Wer bei einem Besuch in der Stadt am Bosporus auch einmal etwas Ruhe und Erholung sucht, findet beides bei einem Ausflug auf die nahen Prinzeninseln.

Der kleine Inselarchipel im Marmarameer bietet einen bemerkenswerten Kontrast zur Hektik und zum lärmigen Treiben im Häusermeer der Megacity. Seit jeher waren die Prinzeninseln ein Rückzugsort – ein Refugium im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Geschichte ist eng mit der osmanischen und byzantinischen Vergangenheit Istanbuls verbunden.

Verbannungsort für osmanische Prinzen

Die Prinzeninseln erhielten ihren Namen unter der Herrschaft der osmanischen Sultane. Denn sie dienten als Verbannungsort für die vom Thronerbe ausgeschlossenen Prinzen der Sultansfamilie. Bis dahin war der Umgang mit den männlichen Mitgliedern des Herrscherhauses alles andere als human gewesen. Da es im Osmanischen Reich keine klare Regel für die Thronfolge gab, aber dank der von den Frauen des Sultans geborenen Söhne jede Menge potenzieller Thronkandidaten, liess der sich jeweils durchsetzende Thronerbe seine gesamte männliche Konkurrenz ermorden, um eine Bedrohung seiner Position von vorneherein auszuschliessen.

Erst in der Nachfolge Sultan Mehmeds III. ging man im 17. Jahrhundert dazu über, die Prinzen nicht mehr zu töten, sondern in einem besonderen Bereich des Sultanspalastes – des Serails – gefangen zu halten, dem sogenannten Prinzenkäfig. Die Redensart vom „Goldenen Käfig“ hat hier ihren Ursprung. Später nutzte man die Prinzeninseln als Ort für lebenslangen Hausarrest der Prinzen, ein vergleichsweise komfortables Schicksal. Die Inseln waren insofern auch ein Schutzraum für die männlichen Angehörigen des Herrscherhauses. Die Nutzung als Verbannungsort hatte dabei eine gewisse Tradition: Schon im Byzantinischen Reich waren am Hofe in Ungnade gefallene Personen regelmässig auf die Inseln verbannt worden.



Die Bewohner Istanbuls nennen die Prinzeninseln einfach nur „Adalar“ – die Inseln. Unter dieser Bezeichnung bilden sie auch einen eigenen Stadtteil der Millionenmetropole. Bis zum Stadtzentrum Istanbuls sind es von hier aus etwa 20 Kilometer. Der Archipel breitet sich vor der asiatischen Seite der Stadt im Marmarameer aus. Er besteht aus insgesamt neun Inseln; davon sind Büyükada, Heybeliada, Burgazada und Kinaliada besiedelt, der Rest ist heute weitgehend unbewohnt. Die knapp 18’000 ständigen Insulaner teilen sich auf diesen vier Inseln eine Gesamtfläche von etwas mehr als zehn Quadratkilometern. Die restlichen fünf Inseln sind deutlich kleiner und erreichen zusammen nicht einmal einen Quadratkilometer.

Jedes der neun Eilande hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Geschichte und ein besonderes Gesicht. Für die Istanbuler und Besucher der Stadt sind die Prinzeninseln mit ihren zahlreichen Villen und grünen Gärten ein beliebtes Ausflugsziel. Autoverkehr gibt es an diesem Ort nicht; wer längere Wege nicht zu Fuss zurücklegen will, kann auf das Fahrrad oder die traditionelle Pferdekutsche ausweichen, die hier gängiges Verkehrsmittel ist. Im Folgenden wollen wir einen näheren Blick auf die einzelnen Prinzeninseln werfen.


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Büyükada – die Grosse Insel

Büyükada oder – übersetzt – die Grosse Insel ist mit einer Fläche von 5,4 Quadratkilometern und gut 7000 Einwohnern die Hauptinsel des Archipels. Dass sie bereits in der Antike bekannt und besiedelt war, beweist ein 1930 hier gefundener Goldmünzen-Schatz aus der Zeit Philipps II. von Makedonien, des Vaters Alexanders des Grossen. Der Fund ist heute im Archäologischen Museum in Istanbul zu sehen. Im Unterschied zur sonst islamisch geprägten Türkei ist bis heute auf Büyükada wie auch auf anderen Prinzeninseln das Christentum präsent. Als Konstantinopel 1453 von den Türken erobert wurde, war Pringipos – so der griechische Name – einer der letzten Orte, die an die Eroberer fielen.

Ein Wahrzeichen der Insel ist die Klosterkirche Sankt Georg auf dem höchsten Punkt Büyükadas, ein Bau aus dem 18. Jahrhundert auf älteren Grundmauern. Ein weiteres Kloster befindet sich auf dem Christus-Hügel, zudem existieren noch mehrere Kirchen. An manchen Stellen der Insel sind auch noch Ruinen ehemaliger Kirchen und Klöster erhalten. Daneben gibt es eine Synagoge und natürlich Moscheen, allen voran die unter einem der letzten Sultane errichtete Hamidiye-Moschee.


Büyükada oder – übersetzt – die Grosse Insel ist die Hauptinsel des Archipels. (Bild: © Prometheus72 – shutterstock.com)

Dieses ungewöhnliche Nebeneinander mehrerer Religionen hat einen Grund. Als im 19. Jahrhundert der regelmässige Fährverkehr zwischen dem damaligen Konstantinopel und den Prinzeninseln aufgenommen wurde, entdeckten viele der seinerzeit noch zahlreichen griechischen, armenischen und jüdischen Stadtbewohner Büyükada als Sommerfrische und bauten sich hier – sofern entsprechend finanzkräftig – Sommerresidenzen. Einen zweiten Schub erhielt die Insel, als Büyükada unter Sultan Abdülhamid II. Anfang des 20. Jahrhunderts zum Rückzugort für hohe Würdenträger des Osmanischen Reiches wurde. In dieser Epoche entstanden zahlreiche elegante Villen aus Holz mit üppigen Gärten, die bis heute das Bild prägen und ganz anders wirken als die Steinwüste Istanbuls. Nach der Oktoberrevolution verschlug es zahlreiche russische Exilanten hierher, die der multikulturellen Atmosphäre der Insel eine weitere Facette hinzufügten. Einer der prominentesten Exil-Russen war Leo Trotzki, der hier zwischen 1929 und 1933 lebte.

Bis heute hat sich Büyükada das Bild eines vornehmen und von zurückhaltender Eleganz geprägten Wohnorts erhalten. Wer es sich leisten kann, wählt auch im heutigen Istanbul die Insel gerne als Residenz. Besucher finden hier auch einige Hotels, und wer sich nicht aufs Besichtigen beschränken möchte, kann sogar im Marmarameer baden. Es gibt mehr als ein halbes Dutzend ausgewiesener Strände. Bekannt ist Büyükada auch wegen seiner ausgezeichneten Restaurants, in denen Fisch und Meeresfrüchte naturgemäss eine Hauptrolle spielen.

Heybeliada – ein ungelöstes Problem

Auch auf der Nachbarinsel Heybeliada – der zweitgrössten des Archipels – haben sich einige christliche Zeugnisse erhalten. Die der Heiligen Jungfrau Maria geweihte griechisch-orthodoxe Kirche wurde noch in der Spätzeit des Byzantinischen Reiches von Kaiser Johannes V. erbaut. Das Terki-Dünya- und das Aya-Yorgi-Ucurum-Kloster sind dagegen erst im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Eine weitere Kirche, die sogenannte Kamariotissa, befindet sich auf dem Gelände der Marineakademie. Sie ist der letzte byzantinische Kirchenbau vor dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453.

Die bedeutendste christliche Stätte stellt aber das Gebäude der Theologischen Hochschule des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel dar. Sie liegt als markanter Gebäudekomplex auf einem der grünen Hügel der Insel. Das Seminar von Halki, wie Heybeliada auf Griechisch heisst, ist allerdings seit 1971 geschlossen. Die Schliessung ist Ausdruck des anhaltend schwierigen Verhältnisses zwischen dem – offiziell laizistischen – türkischen Staat und der nur noch kleinen christlichen Minderheit im Land. Während das angeschlossene Kloster nach wie vor in Betrieb ist, haben sich Hoffnungen auf eine Wiedereröffnung der Hochschule immer wieder zerschlagen. Für das Patriarchat von Konstantinopel, die Mutterkirche der orthodoxen Christenheit, ist die Schliessung ein echtes Problem, kann sie doch dadurch keinen Priesternachwuchs mehr in ihrem eigenen Bereich ausbilden. Ihre Existenz ist dadurch auf Dauer gefährdet.


Die Theologischen Hochschule liegt als markanter Gebäudekomplex auf einem der grünen Hügel der Insel. (Bild: © Berkomaster – shutterstock.com)

Ähnlich wie das benachbarte Büyükada wird auch Heybeliada seit dem 19. Jahrhundert gerne als Wohnsitz der Istanbuler Oberschicht genutzt. Vorher gab es hier nur ein unbedeutendes Fischerdorf. Bis in die 1950er-Jahre bestand noch eine grössere griechische Gemeinde. Eng mit der Insel verbunden ist der Name des türkischen Schriftstellers Hüseyin Rahmi Gurpinar, der ausserhalb der Türkei wenig bekannt ist, aber in seiner Heimat grosse Popularität geniesst. Er verbrachte die letzte Zeit seines Lebens auf der Insel. Sein Wohnhaus ist heute ein Museum.

Im Winter ist es in Heybeliada relativ ruhig, dann bleiben die rund 5600 Insulaner weitgehend unter sich. Im Sommer steigt die Einwohnerzahl auf über 10’000 an, wenn wohlhabende Istanbuler hier ihre Sommerresidenzen beziehen. Besucher und Ausflügler tragen noch das Ihre zur Belebung der zweitgrössten der Prinzeninseln bei. Ein beliebter Anziehungspunkt sind die Open-Air-Konzerte, die hier in den schönsten Monaten des Jahres veranstaltet werden.

Burgazada – das antike Antigoni

Burgazada bildet mit 1,5 Quadratkilometern die drittgrösste der Prinzeninseln. Der griechische Name Antigoni geht auf Demetrios Poliorketes zurück, einen der sogenannten Diadochen, die in der Antike um das Erbe Alexanders des Grossen kämpften. Der zeitweilige Herrscher Makedoniens und Griechenlands liess auf der Insel eine Festung errichten, die er nach seinem Vater Antigonos benannte. Von dieser Anlage ist heute nichts mehr erhalten.


Burgazada bildet mit 1,5 Quadratkilometern die drittgrösste der Prinzeninseln. (Bild: © Thomas Dekiere – shutterstock.com)

Die Bevölkerung Burgazadas war bis in die Neuzeit von Griechen geprägt. Später liessen sich hier bevorzugt Juden aus Istanbul nieder, heute sind die Bewohner ganz überwiegend Türken, die Burgazada ebenso wie die anderen Prinzeninseln als ständigen Wohnort oder Sommersitz nutzen. Die griechische Geschichte von Burgazada bzw. Antigoni ist eng mit der Kirche des Heiligen Johannes verbunden, unter der Stufen in ein unterirdisches Gefängnis führen. Der Legende nach wurde hier der Priester Methodius einst gefangen gehalten, eher er später zum Hüter der Kirche bestellt wurde. Die Ursprünge der Kirche sollen bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen, das heutige Erscheinungsbild stammt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

Ähnlich wie Heybeliada kann auch Burgazada auf eine bedeutende literarische Persönlichkeit verweisen. Der türkische Dichter Sait Faik verbrachte hier wichtige Jahre seines Lebens. Der eigenwillige Schriftsteller gilt als Begründer der modernen türkischen Kurzgeschichte. Viele seiner Erzählungen haben ihren Schauplatz auf Burgazada oder anderen Prinzeninseln und vermitteln viel von deren ursprünglicher Atmosphäre.

Bis vor wenigen Jahren besass die nahezu kreisrunde Insel eine üppige grüne Waldhaube. Leider hat im Jahr 2003 ein Brand grosse Teile der Waldbestände zerstört. Seither bemüht man sich um eine systematische Wiederaufforstung und erneute Begrünung, um Burgazada sein ursprüngliches Gesicht wiederzugeben.

Kinaliada – die Hennainsel

Kinaliada ist die kleinste der vier ständig bewohnten Prinzeninseln und liegt etwas abgelegen von den übrigen drei grösseren Inseln. Der Name Kinaladia bedeutet so viel wie Hennainsel – Henna nach dem Hennastrauch, aus dem traditionell ein rotbrauner Farbton zum Färben von Haut und Haaren hergestellt wird. Da auf Kinaliada früher Eisen und Kupfer gewonnen wurden, weist die Erde dort vielerorts eine Rotfärbung auf, was die Namenassoziation bewirkt hat.

Da die Insel relativ felsig ist und sich demzufolge weniger üppig grün zeigt als ihre Nachbarinnen, stand sie lange etwas im Schatten der grösseren Prinzeninseln. Hier siedelten früher bevorzugt Armenier, heute sind die Bewohner ebenfalls überwiegend Türken. Das Christus-Kloster auf dem
gleichnamigen Hügel diente bereits in byzantinischer Zeit als Verbannungsort. Die prominenteste und wahrscheinlich auch tragischste Figur aus dieser Epoche ist der byzantinische Kaiser Romanos IV. Diogenes, der 1071 gestürzt und als einfacher Mönch hierher verbannt wurde, nachdem man ihm zuvor die Augen ausgestochen hatte. Er starb bereits nach kurzem Aufenthalt.


Der Name Kinaladia bedeutet so viel wie Hennainsel (Bild: © Prometheus72 – shutterstock.com)

Die übrigen Prinzeninseln

Von den übrigen Prinzeninseln können nur einige besucht werden, andere befinden sich in Privatbesitz oder sind nicht zugänglich. Sivriada ist die entlegenste von ihnen, ein nur spärlich begrünter Fels, der in der Form an eine Pyramide erinnert und ein häufig genutzter byzantinischer Verbannungsort war. Unter anderen verbrachten hier mehrere Patriarchen von Konstantinopel einen unfreiwilligen Aufenthalt. Heute wird die Insel wegen einiger noch zu sehender historischer Ruinen gerne besucht.

Die Nachbarinsel Yassiada ist in der Türkei wegen des sogenannten Yassiada-Prozesses berühmt-berüchtigt geworden. Hier wurden nach dem Militärputsch 1960 mehrere führende Politiker angeklagt und einige sogar zum Tode verurteilt. Heute gibt es hier nur verfallene Gebäude, die Gewässer um die Insel sind bei Sporttauchern beliebt. Sedef Adasi – die Perleninsel – ist zwar zugänglich, aber weitgehend privater Nutzung vorbehalten. Kasik Adasi – die Löffelinsel – ist für die Öffentlichkeit gesperrt. Und die nur etwa 4000 Quadratmeter umfassende Tavsa Adasi – die Kanincheninsel – ist als kleinste der Prinzeninseln nicht viel mehr als ein nackter Fels in der Marmarasee.

Anreise – kein Problem

Zu den Prinzeninseln zu gelangen ist im Übrigen kein Problem. Es gibt regelmässige öffentliche Fährverbindungen von den Anlegestellen Kabatas (europäische Seite) oder Bostanci (asiatische Seite) in Istanbul. In den Sommermonaten verkehren auch kleinere Motorboote von den Inselanlegern an diesen beiden Stationen. Die Verbindungen laufen Büyükada an und machen vielfach auch an den übrigen grösseren Inseln halt.

 

Artikelbild: © Sadik Gulec – shutterstock.com

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem grossen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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