Jüdisches Leben in Prag – eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit

Die tschechische Hauptstadt bildete lange eines der bedeutendsten jüdischen Zentren in Mitteleuropa. Auf eine über 1000-jährige Vergangenheit kann die heute nur noch kleine Gemeinde in Prag zurückblicken. Wie vielerorts ist ihre Geschichte von zahlreichen Wechselfällen geprägt – von der Duldung, Gettoisierung, Ausweisung, Rückkehr, Emanzipation und Verfolgung bis hin zur fast vollständigen Vernichtung unter der Nazi-Herrschaft.

Lange lebten die Prager Juden in einem Getto auf dem Gebiet der heutigen Josefstadt (tschechisch: Josefov), früher wurde das Viertel Judenstadt genannt. Wer heute vom Altstädter Ring, dem zentralen Platz in der historischen Prager Innenstadt, über die Parizská in Richtung Josefstadt schlendert, erahnt zunächst kaum etwas von dem früheren Getto mit seinen verwinkelten Gassen, von seiner Überbevölkerung und Armut.


Josefov um 1890 – Gasse des Prager Gettos vor dem Abbruch (Bild: Jewish Encyclopedia, Wikimedia)


Auch die übrigen Strassen der Josefstadt vermitteln keinen Getto-Eindruck. Das hat einen Grund: Im Rahmen der Judenemanzipation unter dem Habsburger Kaiser Joseph II. verliessen ab Ende des 18. Jahrhunderts viele wohlhabendere Juden ihr Viertel. Die Judenstadt wurde danach vor allem von ärmeren Gemeindemitgliedern bewohnt, das Viertel verfiel zusehends. Angesichts dieser Situation entschloss sich die Prager Stadtverwaltung zu einer Radikallösung. Die alten Gebäude wurden Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend abgerissen und neue Strassenzüge angelegt. Dieser Massnahme verdankt die Josefstadt ihr einheitliches Erscheinungsbild mit schönen Gründerzeitbauten. Doch viele jüdische Kultorte blieben erhalten.

Ölgemälde von Stanislav Feikl: Jüdisches Viertel in Prag, 1910 (Bild: Wikimedia)


Die Altneu-Synagoge und die Golem-Legende

Die elegante Parizská mit ihren prachtvollen Jugendstilbauten ist heute eine der teuersten Einkaufsadressen Prags. Uhren-, Schmuck- und Modedesignergeschäfte säumen beide Strassenseiten. Erst am Ende stossen Besucher auf einen Bau, der wie aus einer anderen Zeit scheint – die Altneu-Synagoge. Sie ist die älteste unzerstört erhaltene Synagoge in Europa. Entstanden ist der Bau im 13. Jahrhundert in unverkennbar gotischer Gestaltung und wurde seitdem kaum verändert. Die Altneu-Synagoge bildete immer das Zentrum der Prager Juden, an ihr wirkten die berühmtesten Rabbiner.

Hier ist auch die Legende vom Golem verortet – einem Wesen aus Lehm, durch Magie zum Leben erweckt und dazu bestimmt, mit seinen besonderen Kräften den Juden zu helfen. Die Legende ist eng mit der Person des Rabbi Judah Löw verknüpft, der im 16./17. Jahrhundert in Prag lebte und als bedeutender Gelehrter gilt. Er soll den Golem erschaffen und später vernichtet haben. Nur ein Lehmhaufen auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge soll als Überrest erhalten geblieben sein.


Die Altneu-Synagoge in Prag (Bild: Jorge Royan, Wikimedia, CC)


Rund um den Alten Jüdischen Friedhof

Im näheren Umfeld der Altneu-Synagoge gibt es weitere jüdische Stätten. Unmittelbar neben dem Bau befindet sich das barocke jüdische Rathaus, heute Sitz der jüdischen Gemeinde, mit der sogenannten Hohen Synagoge aus dem 16. Jahrhundert als Anbau. In der Nachbarschaft befindet sich das Gelände des Alten Jüdischen Friedhofs, mit der angrenzenden Pinkas-Synagoge und der Klausen-Synagoge sowie der Zeremonienhalle.

Die Klausen-Synagoge ist ein typischer Saalbau des Barock, vor allem zu erkennen an der barocken Innengestaltung und -ausstattung. Sie ist im 17. Jahrhundert entstanden. Besucher finden hier eine Ausstellung zu jüdischen Festtagen und Traditionen. Ein ebenso beeindruckender wie nachdenklich stimmender Erinnerungsort ist die Pinkas-Synagoge. Im 15. Jahrhundert errichtet, ist sie heute eine Gedenkstätte für die im Holocaust ermordeten Juden aus der früheren Tschechoslowakei. Die Namen der rund 78’000 Deportierten und Getöteten säumen die Wände des schmucklosen Baus. Über das Gelände der Pinkas-Synagoge gelangt man auf den Alten Jüdischen Friedhof.


Alter jüdischer Friedhof in Prag (Bild: Maros M r a z, Wikimedia, GNU)

 



Maurischer Stil

Zwei weitere Synagogenbauten liegen etwas ausserhalb dieses Bereichs. Die Maisel-Synagoge aus dem 16. Jahrhundert wird heute als Museum genutzt und zeigt die jüdische Geschichte Böhmens zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert. Die Spanische Synagoge ist relativ neu. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und wirkt mit ihrer reich ornamentierten maurischen Gestaltung nach dem Vorbild der Alhambra besonders prächtig. Die in der Synagoge gezeigte Ausstellung widmet sich der jüngeren jüdischen Geschichte in Böhmen. Ausserdem werden Kultgegenstände aus ehemaligen Synagogen des Landes gezeigt.

Ein Prag-Besuch sollte an den jüdischen Spuren der Stadt nicht vorbeigehen. Über Jahrhunderte war hier jüdisches Leben selbstverständlich. Jüdische Künstler und Schriftsteller haben die Kultur Prags und darüber hinaus mit beeinflusst. Es empfiehlt sich, bereits am früheren Vormittag mit einer Tour zu starten. Denn dann sind die Besucherströme noch überschaubar.

 

Oberstes Bild: Jüdisches Rathaus – Jüdische Symbole über einem Eingang (© Wolfgang Sauber, Wikimedia, GNU)[vc_text_separator title=“Wo liegt dieses Reiseziel?“ title_align=“separator_align_center“ color=“grey“][vc_gmaps link=“https://www.google.ch/maps?q=Prag,+Tschechische+Republik&hl=de&sll=46.813187,8.22421&sspn=2.154157,5.410767&oq=Prag&hnear=Prag,+Tschechische+Republik&t=m&z=10″ size=“350″]

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem grossen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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