Unterwegs im Pfaffenwinkel – wo Bayern besonders katholisch ist

Es ist eine sanftwellige Hügellandschaft, deren grossartige Kulisse die ersten Alpenkämme bilden – der Pfaffenwinkel im südlichen Bayern. Die Region gilt auch heute noch als traditionsverbunden und bäuerlich orientiert und ist in besonderer Weise durch den Katholizismus geprägt.

Der Pfaffenwinkel bildet eine einzigartige Kulturlandschaft, in der sich eine Dichte an sakralen Baudenkmälern findet, wie sie sonst kaum eine Gegend Deutschlands zu bieten hat. Die meisten davon sind im Zeitalter des Barock entstanden und stellen herausragende Beispiele dieses Baustils dar, was umso überraschender ist, als sie mitten auf dem Land in bescheidener dörflicher Umgebung errichtet wurden.

Der Barock – Glanz des Glaubens

Der Barock erlebte in Deutschland seine Blütezeit nach dem Dreissigjährigen Krieg, als es darum ging, die Zerstörungen jahrzehntelanger Kämpfe zu beseitigen und den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen. Dass der aus Italien kommende Barockstil gerade in katholischen Gegenden Deutschlands auf einen fruchtbaren Boden stiess, ist kein Zufall. Die barocke Pracht passte hervorragend zur symbolgeladenen katholischen Liturgie und verlieh dem Glaubensausdruck sichtbaren Glanz. In der Prachtentfaltung wurde auch bewusst der Triumph der Kirche in der Gegenreformation über die lutherische Lehre dargestellt, die sich im Gegensatz dazu weitgehend schmucklos und nüchtern präsentierte. Mit den barocken Formen wollte man gezielt Eindruck hervorrufen.

Bayern besass damals – zusammen mit den österreichischen Ländern – so etwas wie eine Vorkämpferposition für die katholische Sache. Es verwundert daher nicht, dass die Errichtung sakraler Bauwerke sich besonderer Förderung erfreute. Im Pfaffenwinkel blühte die barocke Baukunst in ausserordentlicher Weise. Mehr als 150 Kirchen und etliche Klöster zieren die Region südlich von Ammersee und Starnberger See im bayerischen Alpenvorland bis heute. Warum gerade diese Gegend einen solchen sakralen Bauboom auslöste, ist nicht ganz klar. Vielleicht war es die Schönheit der Landschaft, die viele „Pfaffen“ und Mönche bewog, sich hier niederzulassen. Jedenfalls fügt sich die barocke Baukunst hervorragend in die natürliche Umgebung ein.


Die berühmteste Wallfahrtskirche im Pfaffenwinkel ist die Wieskirche. (Bild: Heiko Trurnit, Wikimedia, CC)

Prägend – die Wessobrunner Schule

Eine zentrale Bedeutung besass dabei das Kloster Wessobrunn. Es handelt sich um eine alte Benediktinerabtei, deren Ursprünge bis ins 8. Jahrhundert nach Christus zurückreichen. Das Kloster ist unter anderem als Fundort des sogenannten „Wessobrunner Gebets“ bekannt, einer der ältesten Dichtungen in deutscher Sprache. Der wachsende Wohlstand der Abtei erlaubte im 17. und 18. Jahrhundert eine barocke Umgestaltung und Erweiterung der Klosteranlage. Die Ausstattung erfolgte durch Stuckateure, die in den klostereigenen Werkstätten tätig waren. Sie waren hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die im Weiteren auch über Wessobrunn hinaus wirkten. Die Stuckwerkstätten besassen in ganz Europa einen ausgezeichneten Ruf. Ihre Stuckkunst ist unter der Bezeichnung „Wessobrunner Schule“ in die Kunstgeschichte eingegangen.

Viele Kirchen und Klöster des Pfaffenwinkels zeigen in ihrem Schmuck typische Merkmale der Wessobrunner Schule. Einige der schönsten Kirchenbauten des Pfaffenwinkels sind Wallfahrtskirchen. Wallfahrten waren in gewisser Weise eine frühe Form des Tourismus und erfreuten sich gerade im Zeitalter des Barock grosser Beliebtheit. Um Pilger anzuziehen, wurden Wallfahrtskirchen gerne besonders reich ausgestattet. Dies wurde nicht zuletzt durch die Spenden der Wallfahrer möglich. So entstanden auch im Pfaffenwinkel entsprechende Pilgerzentren.


Blick in den Fürstentrakt; Kloster Wessobrunn (Bild: Rufus46, Wikimedia, CC)

Die Wieskirche – der Himmel auf Erden

Die berühmteste Wallfahrtskirche dieser Art im Pfaffenwinkel ist zweifelsohne die Wieskirche. Die „Wallfahrtskirche zum Gegeisselten Heiland auf der Wies“ – so der vollständige Name – gehört bereits seit 1983 als Baudenkmal zum UNESCO-Weltkulturerbe. Während sie sich äusserlich noch vergleichsweise schlicht zeigt, überwältigt sie den Besucher im Inneren mit einer beispiellosen ornamentalen Pracht. Hochaltar, Seitenaltäre, Deckenfresken, Kanzeln und die Stuckatur aus der Wessobrunner Schule sind bereits dem Rokoko zuzurechnen – der Überhöhung und Vollendung des Barock in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Die Innenausstattung der Wieskirche wirkt ein bisschen wie der Himmel auf Erden in Stuck und Stein umgesetzt. Etwas bescheidener, aber dennoch in barockem Schmuck präsentieren sich die Wallfahrtskirchen von Vilgertshofen, Ilgen und Hohenpeissenberg. Die Kirche „Mariä Himmelfahrt“ auf dem Hohen Peissenberg besitzt dabei eine besonders exponierte Lage. Der Berg ist eine der höchsten Erhebungen des Pfaffenwinkels. Von hier aus bieten sich wunderbare Aussichten ins Umland und die nahen Alpen. Bei gutem Wetter ist Deutschlands höchster Gipfel, die Zugspitze, vom Hohen Peissenberg aus gut zu sehen. Prachtvolle Kirchenräume im Stil des Barock und Rokoko besitzen auch die Klosterkirchen von Steingaden, Polling und Rottenbuch – jede ein bemerkenswertes Kunstwerk für sich.

Grössere Städte sucht man im Pfaffenwinkel vergebens. Dem ländlichen Charakter der Region entsprechend sind fast nur Dörfer, einige Märkte und viele einzelne Höfe und Landhäuser zu finden. Die urbanen Zentren – Weilheim, Schongau und Penzberg – kommen folgerichtig über kleinstädtische Grössenordnungen nicht hinaus. Besonders reizvoll ist dabei die Altstadt von Schongau, die viel mittelalterliches Mauerwerk bewahren konnte. Unter anderem sind noch Teile der Stadtmauer aus staufischer Zeit erhalten. In Weilheim zeigt das „Museum des Pfaffenwinkels“ Ausstellungsstücke zur heimischen Kunst und zum ländlichen Brauchtum. Die Stadtpfarrkirche wurde im Inneren ebenfalls durch die Wessobrunner Schule beeinflusst.


Die Wieskirche gehört bereits seit 1983 zum UNESCO-Weltkulturerbe. (Bild: Mtag, Wikimedia, CC)

Eine Landschaft der Seen, Wiesen und Wälder

Neben den Kultur- und Baudenkmälern ist der Pfaffenwinkel aber auch eine wunderschöne Landschaft, die durch bunte Wiesen und grüne Wälder, zahlreiche Seen, Moore und Flussläufe bestimmt wird. Wasser gehört zum Bild dazu – eindrücklich zeigt sich das zum Beispiel bei den Osterseen. Diese Gewässerlandschaft erstreckt sich südlich des Starnberger Sees und bildet ein eigenes Naturschutzgebiet. Auf einer Fläche von etwas über zehn Quadratkilometern liegen zwanzig grössere und etliche kleinere Seen, darüber hinaus ausgedehnte Hoch-, Nieder- und Zwischenmoore. Die Osterseen besitzen einen eigenwilligen melancholischen Reiz, der Maler inspiriert hat.



Ähnlich dem Hohen Peissenberg ist der Auerberg bei Bernbeuren ein weiterer, gerne besuchter Aussichtpunkt des Pfaffenwinkels. Mit knapp über 1000 Metern bildet er den höchsten Punkt der Region und wird – wenig überraschend – von einer Wallfahrtskirche gekrönt. Spektakuläre Landschaften sind im Pfaffenwinkel nicht zu finden. Es ist eher das harmonische Zusammenspiel von natürlichen Formationen und menschlicher Gestaltung, die hier im wahrsten Sinne des Wortes eine Kulturlandschaft geschaffen hat. Die überschaubaren Höhenunterschiede prädestinieren die Region für Erkundungen zu Fuss oder mit dem Rad. Das sind die besten Möglichkeiten, die Naturschönheiten und die Meisterwerke der barocken Baukunst im Pfaffenwinkel zu entdecken.

 

Oberstes Bild: © Heiko Trurnit, Wikimedia, GNU

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem großen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

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