Auf der legendären Route 66

Manche adeln sie als die Strasse der Strassen. Andere sagen, sie sei in die Jahre gekommen, verwahrlost und vernachlässigt. Wieder andere geben einer Herrenduftserie ihren Namen: Die Road 66 hat also viele Gesichter und ist Kult. Wenn auch wirklich etwas aus der Form gekommen, ist sie es immer noch wert, neu entdeckt und wiederbelebt zu werden.

Die alte U.S. Route No. 66 führt über beinah 4000 Kilometer von Chicago bis in die Sonne von Santa Monica. Sie ist das asphaltgewordene Klischee von Freiheit und Abenteuer, von Männern auf Motorrädern und Freaks in Campingbussen. Der Musiker William Troup schrieb 1946 für diese Mutter aller Strassen die Ballade „Get Your Kicks On Route 66“, in der er raunt: „Well, sie windet sich von Chicago bis L.A., über 2000 Meilen. Holt euch die Kicks auf Route 66.“

Wer dem Lied folgt, erfährt ihren Verlauf: Von St. Louis nach Oklahoma City, von Amarillo über Flagstaff nach Kingman. So mancher wird auf der Fahrt dieses Lied durch seine Lautsprecher jagen: ob im Van, Bus oder ganz klassisch, auf dem Motorrad – natürlich einer Harley-Davidson.


Route 66 zwischen Oatman und Kingman in Arizona (Bild: Georgia D. Griffiths, Wikimedia, CC)


Der Traum vom besseren Leben

Manche Erzählung behandelt diese Strasse als den Hoffnungspfad, um etwa als verarmter Farmer aus dem Mittleren Westen in die Obstanbaugebiete Kaliforniens zu fliehen, auf der Suche nach neuer Existenz und Glück, so zu lesen bei John Steinbeck in „Früchte des Zorns“. Und der erwähnte Musiker William Troup wusste, worüber er sang: Auch er war als Glücksritter unterwegs mit der Stadt der Engel als Ziel.

An der Strasse wollte man an den Reisenden verdienen: Hotels, Motels, Diners, Cafés und natürlich die Tankstelle – das war der Treffpunkt für die verrücktesten Autos, die stärksten Jungs und die schönsten Mädels. Davon zeugen heute oft nur noch verlassene Städtchen, heruntergekommene Gebäude und alte Plakate und Bilder. Denn der Boom hatte seinen Höhepunkt und ebbte dann dramatisch ab. Der Grund dafür hat einen Namen: Interstates.


Verlassener Strassenabschnitt in Padre Canyon im nördlichen Arizona (Bild: Bill Morrow, Wikimedia, CC)


Mit Interstate werden in den USA die neuen, mehrspurigen Fernstrassen benannt, die geradliniger in die Landschaft gehauen und so die deutlich kürzeren Fernverbindungen sind. Zeit wurde mehr und mehr zu Geld, und je mehr Autos der Route 66 fernblieben, desto mehr ebbten auch die Geschäfte am Strassenrand ab und kamen weitgehend zum Erliegen.

1984 wurde in Williams, Arizona, das letzte Stück der alten Route 66 durch die Interstate 40 ersetzt. Der Traum vom besseren Leben wird heute mit höherem Tempo geträumt. So sind Teile der alten Route 66 nicht nur kaum befahren, sie sind stellenweise verschwunden und auch bei aktiver Suche oft schwer zu finden. Immerhin sind aber 80 % der alten Strasse noch befahrbar. Und das Nachdenken über unser Lebenstempo, gepaart mit Nostalgie, kommt der Wiederentdeckung einer gemächlicheren Reiseform zugute.


Das berühmte „Bagdad Café“ aus dem Film „Out of Rosenheim“ (Bild: Vicente Villam, Wikimedia, CC)


Die Entdeckung der Langsamkeit

Sie wird wieder gesucht, die alte Route 66. Besonders in Arizona und dem Süden Kaliforniens sind viele lange und zusammenhängende Stücke befahrbar. Und die Sucher der Entschleunigung, die wieder auf die alte Strasse kommen, ziehen wieder jene nach sich, die ihre Existenz damit verdienen wollen. So auch das Ehepaar Pilchards, ursprünglich aus Washington.


Route 66 – der General Store in Hackberry (Bild: Don Graham, Wikimedia, CC)


Der General Store in Hackberry wird seit 1998 von den beiden als eine Art Museum geführt. Bis zu den Zapfsäulen ist alles wieder wie in den 1950er-Jahren. Hier gibt es Fundstücke, die sie über Jahrzehnte schon gesammelt haben und die an die Route 66 erinnern. Bücher, Fotos, T-Shirt, eine Juke Box – es ist ein bisschen wie in einer Zeitmaschine. Richard meint, er habe als Junge schon immer an der Petrol Station abgehangen. Jetzt ist er wieder da und der Kreis geschlossen.

Wieder andere sind nie weg gewesen: Der frühere Hippie mit dem schönen Namen Bob Waldmire war mit seinem alten VW-Bus schon immer hier. Er malt Bilder, die er mehr oder weniger erfolgreich verkauft. Früher hatte er einen Laden an der Route 66. Nachdem keine Autos mehr kamen und er einziger Einwohner war, machte er aus dem Laden ein Visitor Center. Es waren die erwähnten Pilchards, die ihn da ablösten. Bobs Spuren verlieren sich dann in Chicago.



Die Renaissance der Route 66 lebt aber von den Menschen, die noch erzählen können von früher. Wie Bob verschwinden diese mehr und mehr. Dies ist deutliches Signal, mit der Erkundung dieser Strasse nicht länger zu warten. Denn Chicagos Skyline, die Plains im Mittleren Westen, Texas und Cowboys und Indianer, durch die Wüste und schliesslich bis an den Pazifik – das gibt es an einer Strasse nirgendwo auf der Welt.

 

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